RNI Memories
Erinnerungen
von Hans Knot

RNI Memories (Teil 15)
Graham Gill auf hoher See
von Hans Knot

Der Name Graham Gill taucht in der Geschichte des Offshore-Radios an verschiedenen Stellen auf. Während Gill wahrscheinlich am ehesten dafür bekannt ist, in den 70er Jahren sowohl für Radio Caroline als auch für Radio Nordsee International (RNI) gearbeitet zu haben, begann seine Karriere beim europäischen Hörfunk bereits auf der ‘Laissez Faire’, wo er für Swinging Radio England und für Britain Radio tätig war. In den 60ern war er ebenfalls auf Wonderful Radio London und Radio 390 zu hören. Graham Gill ist heute im Ruhestand, und ich konnte ihn vor einiger Zeit für unsere Artikelreihe über seine Offshore-Zeit interviewen.

Hans: Ich fange mal mit der unvermeidlichen ersten Frage an: Wie kamst du zum Radio?

Graham: Es begann alles in Australien. Ich bin schon länger beim Radio, als ich mich zu erinnern vermag, und ich bin mittlerweile auch in Rente. Es fing in Melbourne bei einer Station mit dem Rufzeichen 3ZU an, und ich war 14 Jahre alt. Damals - und gewissermaßen auch heute noch - kann man in Australien nicht ohne weiteres beim Hörfunk zu arbeiten beginnen. Man muss zur Radioschule. Zuerst heißt es, die Stimme zu entwickeln, und hierzu ging ich bei Lee Murray drei Abende pro Woche in den Unterricht. Das alles, während ich tagsüber bereits bei 3ZU arbeitete. Daneben ging ich zur ‘Vincent School of Broadcasting’, wo ich einiges über Musiktheorie, Musikgeschichte, Jazz, die Welt des Pop so wie sie sich seinerzeit darstellte, klassische Musik und vieles mehr studierte.

Ich musste auch erlernen, wie man Werbespots schreibt, vorträgt und produziert und wie man für Hörspielproduktionen schauspielert. On air spielten wir unsere eigenen Platten und hatten nach jeder Scheibe die Nadel des Plattenspielers zu wechseln, da seinerzeit mit einer 78er-Umdrehung gearbeitet wurde. Ich war also zuerst bei 3ZU und dann bei 3KZ in Melbourne. Weil ich Asthmatiker bin, zog ich wegen des trockeneren Klimas nach New South Wales um und verbrachte einige glückliche Jahre bei 2RG in Grevith und beim Fernsehkanal MTM-Channel 9. Ich moderierte zwischen 9 und 12 Uhr eine Sendung für Hausfrauen auf 2RG und ein Kinderprogramm fürs Fernsehen.

Hans: Trafst du dort Alan Freeman, der nach Großbritannien ging und ohne Umschweife zum Radiostar wurde?

Graham: Ja. Genau gesagt, als ich von 3ZU zu 3KZ wechselte, war ich der Tontechniker für Alan Freeman. Ich spielte die Musik für den alten „Fluff“, und als wir uns später wieder trafen, 1966, als ich mich entschlossen hatte, eine Weltreise zu machen und an deren Ende nach London zu ziehen, da lebte „Fluff“ in Maida Vale. Ich sagte mir übrigens, wenn ich in London ankomme, werde ich in den ersten drei Wochen nicht arbeiten, sondern mich ausruhen und nach einer Bleibe suchen.

Hans: Du kamst also nach Europa, um zu arbeiten?

Graham: Es schwirrte mir durch den Kopf, vielleicht zwei Jahre dort zu arbeiten und anschließend nach Australien zurückzukehren. Wie dem auch sei, ich fand eine Wohnung in der Nähe von Earls Court, wo ich mit drei Theaterleuten zusammen wohnte, die alle den gleichen Manager hatten. Nach gerade einmal drei Tagen fragte mich dieser Manager, ob ich am selben Abend noch im Wimbledon Palais einspringen könne. Ich müsse The Small Faces an- und absagen und zwischendurch ein paar Platten auflegen. Eigentlich hatte ich gar keine Lust, weil ich ja Urlaub machen wollte, andererseits war die Bezahlung ganz ordentlich. Ich sagte also zu. Nach etwa der Hälfte der Show stand ich an der Bar und hatte gerade ein Guinness halb geleert, da kam ein Typ auf mich zu und sprach mich an. Sein Name war Gordon Shephard und er war der Talentsucher von Radio London. Er meinte, ihm gefalle meine Art zu arbeiten und bat mich, am darauffolgenden Montag in sein Büro in der Curzon Street zu kommen. Was ich auch tat. Und tags darauf war ich schon auf dem Radioschiff. Ich hatte also nicht wirklich Urlaub in London...

Hans: Waren dir die Offshore-Radiosender bekannt, als du noch in Australien warst?

Graham: Aber ja doch, zumindest die beiden großen, Radio Caroline und Wonderful Radio London, hatten eine Menge Publicity in Australien. Ich war der Meinung, Radio London war nicht viel anderes als australisches Radio, das auf den britischen Geschmack zugeschnitten war. Es war ein erfolgreiches Format zuhause und kam zur gleichen Zeit gut in England an.

Hans: Wie lebte es sich so auf der Galaxy?

Graham: Gut. Es war letzten Endes wie bei jedem anderen Unternehmen auch. Du arbeitest mit anderen Leuten zusammen, hast deine guten und schlechten Tage und etwas Ärger hier und da, aber alles in allem war es sehr gut. 

Hans: Wer war seinerzeit noch auf dem Schiff?

Graham: Das waren Mike Lennox, Tony Windsor, Chris Denning und Kenny Everett.

Hans: Bist du danach zu anderen Stationen auf hoher See gegangen?

Graham: Seinerzeit herrschte Vollbeschäftigung in Großbritannien und mir wurde ein Job bei Britain Radio England angeboten. Ich war gerade von der Galaxy gekommen, auf dem gleichen Tender mit Kenny, Mike und Tony, und wir warteten auf den Zug von Harwich nach London. Da kam dieser große Überlandbus vorbei mit einem Kerl namens Don Pierson, dem Mann hinter Britain Radio und Swinging Radio England. Er bot an uns nach London mitzunehmen, was wir gerne annahmen. Beim Einsteigen fragte Pierson, ob ich vielleicht Lust hätte, für ihn zu arbeiten. Und ich sagte ihm, ja, ich hätte Lust.

Hans: Du warst also nicht unter Vertrag und konntest dich ohne Probleme von einer Station zur nächsten begeben?

Graham: Oh ja, ganz problemlos. Britain Radio England verwandelte sich erst in Radio Dolfijn und dann in Radio 355, wo ich ebenfalls war. Dann kam ein Jobangebot für Radio 390 - „Your British Family Station“. Das war auch sehr gut, weil sich die Arbeitsstelle auf einem Fort befand und wir den fantastischsten englischen Koch hatten, Geoff, der den wunderbarsten Sonntagsbraten zaubern konnte.

Hans: Kann es sein, dass das die Radiostation war, in die du mit deiner Stimme und deinem Moderationsstil am besten hinein passtest?

Graham: Das ist möglich. Ich glaube, von allen Sendern, bei denen ich war, hat Radio 390 einige wirklich besondere Erinnerungen für mich. Wir hatten bei der Programmgestaltung völlig freie Hand. Es gab für mich nur eine Einschränkung: Du musst wissen, mein Akzent war vor 35 Jahren wirklich sehr australisch gefärbt. Als mich Peter James in sein 390-Büro rief, um mir den Job anzutragen, bat er mich, einen vornehmeren Akzent aufzusetzen! Ansonsten waren damals Jack McLaughlin bei Radio 390, Paul Beresford, Roger Scott [Greg Bance], der anschließend viele Spots für den Super Channel und für die Sky-Satellitenprogramme machte. Tja, und nach der Schließung von Radio 360 ging ich zurück nach Australien.

Hans: War es nicht so, dass es bei Radio 390 auch ein paar wirklich schreckliche Programme gab? Ich denke da besonders an die Horoskop-Show...

Graham: Ja, ‘Eve - Women’s Magazine on the Air’! Sie hat uns ein paar lausige Horoskope ausgestellt...

Hans: Wie war diese Sendung konzipiert?

Graham: Es kam ein komplettes Skript aus dem Büro in Victoria in London. Wenn wir es erhielten, mussten wir es eins zu eins verlesen. Im Grunde waren die meisten Sendungen auf Radio 390 komplett vorgetextet. Ich erinnere mich, dass mir Peter Jones einmal auf die Finger geklopft hat. Ich hatte nämlich eine Sendung im Country-Style zu moderieren, abwechselnd mit David Allen, der heute für eine Easy-Listening-Station auf einem digitalen Multiplex arbeitet. David moderierte immer mit Skript, und ich in einer Art exklusivem DJ-Stil. Die Leute im 390-Office mochten meine Art offensichtlich nicht, so dass David die Moderation schließlich alleine übernahm.

Im Bild (von links): Graham Gill, Andy Archer, Paul Hollingdale
und Robbie Dale (1978)
.

Hans: Wie waren die Arbeitsbedingungen auf ‘Red Sands’, der Heimat von Radio 390?

Graham: Sehr gut. Wunderbare Heizung, gute, warme Betten, kein Geschaukel .... Nicht dass ich jemals seekrank war... Außerdem hatte man eine Woche Dienst und eine Woche frei.

Hans: Was geschah, als 1967 der Marine Offences Act in Kraft getreten war?

Graham: Ich hatte einen Brief von meiner Mutter erhalten, die nach dem Tod meines Vaters, als ich 13 Jahre alt war, einen holländischen Einwanderer heiratete. Sie berichtete mir, dass ich seit ihrer zweiten Heirat Verwandte in Schiedam, in der Nähe von Rotterdam habe und dass diese mich sehen wollten. Ich ging eine Woche lang dorthin, sah mich etwas in der Gegend um, und als ich eines Tages gerade so herumlief, musste ich austreten und kam zu diesem Ort namens ‘The Birds Club’. Der war wegen Renovierungsarbeiten nicht geöffnet, aber wie dem auch sei. Als ich von der Toilette kam, fragte mich ein Mann, was in drei Teufels Namen ich da zu suchen habe. Ich erzählte ihm, ich hätte gerade meine Kartoffeln gegossen. Natürlich wusste er nicht gleich, wovon ich sprach, also erzählte ich ihm, ich sei DJ von Radio London und gerade auf dem Weg nach draußen. Plötzlich ertönte diese Stimme, die, wie ich lernte, John Rosinger gehörte, damals ein sehr berühmter holländischer Filmregisseur. Er fragte mich, ob ich nicht für ihn arbeiten wolle, und zwar als der Unterhaltungs-Manager des Clubs: Künstler unter Vertrag nehmen, auf die Bühne bringen, ansagen und am Wochenende Platten auflegen.

In jenen Tagen erhielt ich mein eigenes Büro bei ‘Project Promotion’ und hatte Buchungen für all die Top-Acts in Holland vorzunehmen, beispielsweise The Tea Set, The Motions, The Blues Dimensions, The Soul Machine und viele mehr - und es war ganz toll, mit all denen zusammenzuarbeiten. Nach etwa sechs Monaten erlitt der Geschäftsführer des Clubs, Peter Maartens, einen Herzinfarkt, worauf es einen Wechsel an der Spitze der Firma gab und ich merkte, dass es an der Zeit war weiterzuziehen. Koen Bakker erschien auf der Bildfläche, der mich managen und meine fertig produzierten halbstündigen Shows in ganz Europa vermarkten wollte. Ich machte das etwa sechs Monate lang. Als Radio Caroline 1972 wieder an den Start ging, traf ich zufällig Chris Carey und arbeitete fortan auf der MV Mi Amigo für Radio Caroline und später für RNI.

Hans: Gab es einen großen Unterschied zwischen der Mi Amigo und der MEBO II?

Graham: Aber selbstverständlich. Das Leben auf der MEBO II war luxuriöser. Aber andererseits gab es auf der Mi Amigo immer viel Guinness und Büchsen voller Sardinen, die gut auf Toastbrot schmeckten. Wir DJs waren alle dicke Freunde, waren gemeinsam unterwegs, waren auf kleinen Booten und tranken. Natürlich hatten wir alle ‘Mädchennamen’: Ich war Griselda, Andy Archer war Agatha, Brian McKenzie war Brenda, Keith McLaughlin war Jessie und Bob Noakes war Roberta. Irgendwann um Mitternacht kam ein Segelboot von Radio Caroline herüber mit einer Nachricht von Andy Archer: „Liebe Griselda, ich weiß, dass Euch das Guinness ausgegangen ist. Anbei ein paar Sardinen und Pfirsich Melba. Love - Agatha“. Am nächsten Tag schickten wir ihnen Dinge rüber, die sie nicht hatten. Ach, es war ein schönes Leben.

Bei Tisch (von links): Brian McKenzie, Roger Kent, Rudi Kagon
und Graham Gill (1974).

Hans: Ich unterhielt mich einmal mit Cliff Richard, der mir sagte, er habe dich gut gekannt und dass du gerne Aal gegessen hast...

Graham: Ja, Cliff ist ein alter Kumpel. Unsere Wege haben sich zwar nur selten gekreuzt, doch ab und zu kamen wir dennoch zusammen. Ich trank ein paar Bier und Cliff immer nur Orangensaft. Die anderen DJs von Radio London waren ein bisschen eifersüchtig, weil ich ihn so gut kannte, besonders wenn ich zu Weihnachten eine Karte von ihm erhielt. Das kam bei denen gar nicht gut an.

Hans: 1974 ging es für dich zurück zu Radio Caroline...?

Graham: Ja, ich war dort, bis die holländische Variante des Marine Offences Act in Kraft trat, und ich war sogar in der Lage, kurzzeitig danach einige Sendungen in Amsterdam zu machen, in einem kleinen Plattenladen.

Hans: Hattest du niemals Schwierigkeiten mit den Behörden?

Graham: Anfangs schickten wir noch Bänder an die Station, aber bald wurde die Sache etwas zu heiß. Mir wurde gesagt, wenn ich nicht damit aufhöre, würde ich Probleme bekommen. Ich wollte nicht hinter Gitter, also musste ich die Produktion der Sendungen einstellen. Ich ging dann zu Radio Netherlands und arbeitete dort bis zu meiner Pensionierung im Jahre 1984, bis ich glaubte, genug getan zu haben.

Fotos: © Rob Olthof, Theo Dencker, Jelle Knot

Aus RADIOJournal 5/2004