RNI Memories
Erinnerungen
von Hans Knot

Mike Ross

RNI Memories (Teil 11)
Mike Ross blickt zurück auf RNI
von Chris Edwards

Mike Ross war einer der zahlreichen Deejays des internationalen Dienstes von Radio Nordsee International. Er war erstmals im Sommer 1970 auf dem RNI-Sendeschiff, der MEBO II, tätig - wenige Wochen bevor RNI den Betrieb zeitweilig einstellte, um die niederländischen Behörden davon abzuhalten, gegen den Konkurrenten Radio Veronica einzuschreiten. So lautete zumindest die Erklärung der schweizerischen RNI-Eigentümer. Der wahre Grund war natürlich, dass ihnen das Geld ausgegangen war... Mikes erste Arbeitsphase war also eine sehr kurze, aber er sollte später, im Jahre 1972, zur Station zurückkehren. Er wurde ein ausgesprochen populärer DJ, und eine Zeit lang brachte er sogar seine Frau mit an Bord und gestaltete gemeinsam mit ihr eine Hörerpostsendung, die »Request Show with Mike and Sheila Ross«. Das hier abgedruckte Interview wurde anlässlich des Offshore-Treffens „Driftback 20“ im August 1987 in London geführt.

Chris: Mike, wie kamst du ursprünglich zum Radio?

Mike: Ich arbeitete mit jemandem zusammen, der eine mobile Discothek in der Gegend von Reading betrieb. Er schlug eines Tages vor, runter nach London zu fahren und an der Demonstration für die Offshore-Sender teilzunehmen. Darauf meinte ich, mach du das mal, und ich gehe in der Zwischenzeit mit einer zauberhaften jungen Frau aus ... was ich dann auch tat. Als er zurück kam, berichtete er, dass er auf einen Typ namens Larry Tremaine gestoßen sei, der Programmdirektor von RNI war und der sich gerne mal mit mir unterhalten würde. Ich fuhr also runter nach London für einen Schwatz, und eine Woche später war ich auf dem Radioschiff MEBO II.

Chris: Hattest du irgendeine Radioerfahrung?

Mike: Nein, ich hatte niemals die Absicht, so einen Job zu machen.

Chris: Was war dein erster Eindruck von RNI?

Mike: Ganz ehrlich, ich war gelähmt vor Angst, als ich an Bord ging, das muss ich schon zugeben. Ich war damals eine einigermaßen intelligente, aber auch naive Person, obwohl ich schon recht alt war. Zum Glück nahm sich einer der jüngeren, Mark Wesley, meiner an und führte mich in alles ein, ja, und dann blieb ich bei RNI bis zum Schluss.

Chris: Wann genau hast du angefangen, bei RNI zu arbeiten?

Mike: Das war im August 1970. Ich war drei Wochen lang da draußen, gemeinsam mit Carl Mitchell (Bild), Spangles Muldoon, Alan West, Andy Archer, Steven Ladd und Dave Rogers. Bald darauf, Ende September, wurde die Station geschlossen, und es dauerte bis Feburar 1971, ehe ich ein Telegramm von Stevie Merikke mit der Frage erhielt, ob ich Lust hätte, wieder rauszufahren. Ich ging also wieder auf das Sendeschiff und wurde mit der Zeit zum am längsten dienenden Deejay. Einzige Ausnahme waren zwei Monate, in denen ein gewisser amerikanischer Gentleman zum Programmdirektor gemacht wurde. Seine erste Amtshandlung war es, Dave Rodgers und mich zu entlassen, aber er konnte mich nicht vom Schiff vertreiben, weil ich gemeinsam mit Peter Chicago auch noch als Ingenieur arbeitete. Also blieb ich bis zum bitteren Ende.

Chris: Woran erinnerst du dich am meisten, wenn du an RNI denkst?

Mike: Ich glaube, die wichtigsten Dinge passierten, als ich gerade nicht an Bord war. Ich hatte einen Sonderurlaub genommen, um an der Silberhochzeit meiner Eltern teilzunehmen. Die fand genau an dem Abend statt, an dem die Bombe auf der MEBO II hochging. Ich eilte zurück, um Alan West, Dave Rodgers und Tony Allan zu entlasten, die damals Dienst taten. Wir schafften es, unter ziemlich widrigen Umständen weiterzusenden. Die Kombüse wurde in der Dusche untergebracht, zusammen mit den Gasöfen, und wir DJs krochen bei der Schiffscrew unter, teilten die Kabinen oder schliefen auf dem Boden des Produktionsstudios.

Chris: In welchem Zustand war das Schiff nach dem Anschlag?

MEBO IIMike: Sehr, sehr verkohlt und sehr schwarz. Der gesamte hintere Teil und die Brückenkonstruktion waren ausgebrannt, auch die Rettungsboote. Wenn der Anschlag den Treibstofftank und nicht den Wasserbehälter getroffen hätte, wäre das Schiff nicht mehr da gewesen und die Jungs auch nicht mehr.

Chris: Was passierte danach?

Mike: Nun ja, Paul May kam in die RNI-Studios in Naarden und war auf der Suche nach einem Job. John de Mol Sr., unser niederländischer Boss, der damals sowohl den holländischen als auch den englischen Dienst leitete, bat mich, das Vorstellungsgespräch mit Paul zu führen und festzustellen, wie gut er als DJ war. Schließlich machten wir ihn zum Programmdirektor, hauptsächlich weil wir in dieser schwierigen Situation die Verantwortung nicht alleine tragen wollten. Aber wie ich schon sagte, das erste, was Paul tat, war uns vom Radiomachen auszuschließen, und er feuerte Dave Rogers, der dann auch RNI verließ.

Chris: Warum machte Paul May das?

Mike: Weil wir nicht miteinander auskamen. Paul wollte bei RNI einführen, was wir heute das Mid-Atlantic-Format nennen, und wir waren alle dagegen. Wir waren viel europäischer eingestellt als Paul und wollten uns nicht verbiegen lassen. Wir gaben ihm gehörig Zunder, so dass er schließlich von selbst aufgab. Ich war ja noch auf dem Schiff, als er wegging, und erlebte, wie wir dann weitere DJs anheuerten. Es ging an Bord manchmal ziemlich rauh zu, und du musstest da schon einiges aushalten können. Nicht zwischenmenschlich; ich meine die ganze Umgebung. Das Schiff konnte sich bis 32,5 Grad zur Seite legen, wir haben aber auch erlebt, dass es sich um 35 Grad neigte. Da hätte es eigentlich kentern müssen...

Leute haben mich immer wieder gefragt, wie wir das denn um alles in der Welt aushalten und an Bord auch noch Platten spielen, wenn sich das Schiff so wild gebärdet. Wenn du zum Beispiel auf einem Teppich saßest, konnte es passieren, dass du anfingst Schlitten zu fahren und gegen die andere Wand geprallt bist. Wir mussten manchmal Radiatoren einsetzen, die sich von den Wänden losgerissen hatten, weil sich einer bei schwerem Seegang daran festhielt. Das Schiff bewegte sich aber nicht nur seitwärts, sondern auch auf und ab; manchmal so weit, dass die Ankerkette gefährlich spannte. Das Schiff wurde dann durch eine große Welle hindurch gezogen und kam auf der anderen Seite wieder heraus. Die MEBO II hatte einen flachen Kiel und knallte dann wieder auf der Wasseroberfläche auf. Eigentlich war das Schiff als Radioschiff überhaupt nicht zu gebrauchen; im Gegensatz zur Mi Amigo, einem der Caroline-Schiffe, das einen Kiel hatte.

Chris: Unter welchen Bedingungen lebtet Ihr an Bord?

Mike: Also, die MEBO II war wohl das luxoriöste von allen Radioschiffen. Ich weiß das, weil ich mehrere Male auf der Mi Amigo war. Einmal arbeitete ich dort 36 Stunden am Stück, als wir einen extremen Sturm hatten und der Sendemast brach und die MV Norderney rammte. Danach arbeiteten wir drei oder vier Wochen an der Behebung technischer Problemen, um Radio Veronica von der MEBO II ausstrahlen zu können, bevor die Norderney wieder auslaufen konnte. Wir mussten während dieser Zeit die beiden Kurzwellensender, den UKW- und die beiden Mittelwellensender parallel in Betrieb halten, was zu immensen Modulationsproblemen führte.

Chris: Hattet Ihr Schwierigkeiten mit dem Kurzwellendienst?

Mike: Du sprichst die Experimente mit dem World Service an, den wir an den Sonntagen ausstrahlten. Ja, das hat Spaß gemacht. Meister und Bollier wollten eigentlich durchgehend in englischer Sprache senden, was allerdings wirtschaftlich keinen Sinn machte. Wir kamen also mit einem Kompromissvorschlag zu ihnen: Lasst uns einen RNI World Service machen, gerade so wie der BBC World Service. Daran war dann auch AJ Beirens mit seinem DX-Programm beteiligt. Wir hatten ziemlichen Spaß an der Sache, weil wir während der Phase, in der es den World Service gab, tags und nachts senden mussten.

Chris: Hattet Ihr viel mit Meister und Bollier zu tun? Kamen die beiden Direktoren oft an Bord?

Mike: Sie kamen nicht oft raus, aber es gab einen ständigen Kontakt. Auf der Brücke stand ein leistungsstarker Transceiver, ein Collins, der mit 200 Watt betrieben wurde. Wie du weißt, waren die Direktoren ja Funkamateure. So konnten wir stets mit ihnen in Kontakt bleiben und sie mit ihren internationalen Rufzeichen anrufen. Leider gab es in der Nacht immer Interferenzen, weil wir einen leistungsstarken BTA100DB-Sender in Betrieb hatten. Dieses Ding war zweimal so stark wie alles andere, was wir an Bord hatten. Die einzige Enttäuschung mit diesem Sender war, dass wir nicht anständig London erreichen konnten. Wir konnten in Irland gut empfangen werden, in Schweden, Norwegen und auch recht passabel in der Schweiz, aber London wurde von der Radiowelle, die wir über eine eigene Antennenanlage abstrahlten, quasi übersprungen.

Chris: Was war ganz allgemein das Aufsehenerregendste an Radio Nordsee International?

Mike: Ich will dir einen kleine Geschichte erzählen, die erläutert, was so alles mit den DJs passiert ist. Meine eigene Initiation ist ein gutes Beispiel dafür; jeder Neuankömmling musste irgendein Aufnahmeritual über sich ergehen lassen. Mir war eine gemeinsame Kabine mit Kurt zugewiesen worden, der als Ingenieur bei RNI arbeitete. Die ganze Kabine roch ziemlich nach Fisch, und ich dachte, das sei auf See nichts außergewöhnliches. Dabei hatten mir die anderen Fischköpfe in mein Kissen gesteckt! Und es hat tatsächlich zwei oder drei Tage gedauert, in denen das Zeug schon sehr am verwesen war, ehe ich kapierte, dass sie mich hereingelegt hatten. Ich glaube es war Andy Archer. Es war die Art Streich, die nur von ihm kommen konnte. Aber trotz allem, diese Streiche trugen zur allgemeinen Stimmung bei und hielten die Moral aufrecht. Und ich konnte mich zwei Wochen später auch revanchieren... 

Ich war für die Nachrichten während Mark Wesleys Breakfast-Show verantwortlich, und Andy Archer war von 9.00 bis 12.00 Uhr vormittags an der Reihe. Mir war seine morgendliche Routine bekannt: Er kam aus der Kabine, im Pyjama, barfuß, trottete zum Waschraum, wusch sich und brachte sich soweit auf die Reihe, dass er on air gehen konnte. Ich war aber schon eineinhalb bis zwei Stunden früher auf den Beinen, weil Marks Sendung bereits um sechs Uhr morgens anfing. Ich besorgte mir eines Tages ein paar Reißzwecken und streute sie auf den Boden vor die Kabinentür und tippte dann im Newsroom, gleich gegenüber von der Kabine, mit meinem Zweifingersystem die Nachrichten. Als Andy aus der Kabine kam, trat er in die Reißzwecken, und dann brach er in ein Höllengeschrei aus. Die nächsten zwei Tage lang verdächtigte er jedermann an Bord. Und ich hatte meine Genugtuung...

Andy Archer führte auch das „Jahr der Kröte“ ein ... seine Art, es mir wieder heimzuzahlen, denn er hatte inzwischen herausgefunden, wem er die Reißzwecken zu verdanken hatte. Andy nannte mich also „Kröte“, öffentlich und on air, und nach etwa zwei Wochen übernahmen das auch die anderen DJs. Zwei Jahre später, 1972, wurde der Name erneut benutzt, und er war dann noch viel ‘berühmter’ als 1970. Lauter solche kleinen Geschichten, hunderte... Einmal seifte ich Paul May mit Feuerlöschschaum ein. Er benötigte sechs Stunden, um das Produktionsstudio sauber zu bekommen, und konnte an dem Abend seine Sendung nicht fahren, weil der Schaum noch in den Augen wehtat.

Es gab auch Zeiten, zu denen waren Leute an Bord, die einfach nicht miteinander auskamen. Arnold Layne und ich hatten einmal einen verdammt heftigen Streit, der beinahe in Handschellen endete. Aber all das beeinträchtigte niemals die Programme. Die meisten Auseinandersetzungen gründeten sich auf dumme kleine Streiche, wie etwa den Abfluss mit Teeblättern zu verstopfen. Das sorgt für Stunk, ist aber im Prinzip keine große Sache. Man weiß ja, wie ein Abfluss wieder gereinigt werden kann...

Aber es war halt so, dass RNI eine Art enge Gemeinschaft war, sein musste, besonders wenn du mit den gleichen Leuten fünf Wochen lang auf einem Schiff wohnen und arbeiten musstest.

Chris: Warst du immer so lange am Stück auf der MEBO II?

Mike: Fünf Wochen waren die längste Periode. Aber der Rekord wurde von Dave Rogers gehalten, der einmal fast 13 Wochen lang ununterbrochen an Bord war, soweit ich mich erinnern kann.

Chris: Womit ging es bei dir weiter, nachdem du RNI verlassen hattest?

Mike: Also, ich heiratete und was danach geschah, war durch das Getrappel von kleinen Kinderfüßchen bestimmt. Ich beschloss, dass ich in der Unterhaltungsindustrie arbeiten wollte, und das bedeutet, dass du überall und nirgends arbeitest, nur nicht zu hause. Ich arbeitete rund 18 Monate lang in einem Nightclub - war auch daran beteiligt. Es war der „Doorwoman“, der einzige Nightclub in Brighton, heute heißt er „Wednesday“. Dann aber merkte ich, dass es nicht das richtige war. Ich kam immer um drei oder vier in der Nacht nach Hause und wechselte die Windeln... sonst bekam ich nicht viel von meiner Familie mit. Ich sagte mir also, okay, ich habe einen Abschluss als Elektroingenieur und suche mir einen Job als Elektroingenieur. 

Später traf ich auf einen alten Freund, der Leiter der Technikabteilung bei der School of Engineering in Enfield war. Er fragte mich, ob ich nicht mit ihm als Techniker im Auftrag ihrer Majestät arbeiten wollte. Mit 28 Jahren drückte ich also noch einmal die Schulbank, holte mir den entsprechenden Abschluss und arbeitete dann zwei Jahre in der School of Engineering. Später jobbte ich bis 1985 bei Ferranti und wurde dann Abteilungsleiter für Forschung und Entwicklung bei Texas Instruments in Bedford. Meine Frau wollte nicht von Berkshire nach Bedford ziehen, und da ist mir der Kragen geplatzt. Ich arbeite die ganze Zeit und sie lebt im Luxus... Die Ehe war dann am Ende, und ich ging rüber nach Houston, um eine 14 Millionen schwere Fertigungsstelle für Halbleiter in Rietty aufzubauen, die dieses Jahr [1987] in Betrieb gehen wird.

Nachdem ich den Job erledigt hatte, wurde ich aber nicht mehr gebraucht. Schulterklopfen und danke sehr, das war’s. Ich hing dann an der Flasche und war 18 Monate ziemlich ziellos. Das einzige war die Gründung von SMART, das ist die Surface Mounted Related Technology Group, eine Gruppe von Ingenieruren, die sich mit der allerneuesten Mikro-Technologie befasst. Ich hatte sieben oder acht Monate lang ein Büro in Maidenhead und nahm 1985 und 86 an der Ausstellung „Internet.com“ teil. Anschließend fragte ich mich, was ich mit meinem Leben denn so anfangen kann und kam zu dem Schluss, dass mir das Radio immer am meisten Spaß gemacht hat. Im Moment bin ich dabei, wieder dorthin zurück zu gehen.

Chris: Nimmst du freie Aufträge an?

Mike: Ja, ich bin freiberuflich tätig ... Voice-over für Werbespots, Jingles für Lokalsender. Ich treffe mich mit Bekannten, aber die gesamte Szene hat sich verändert. Ich sprach vor zwei Wochen mit Mark Wesley. Vielleicht kann ich wieder etwas mit ihm zusammen arbeiten, er hat ja eine eigene Firma. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wohin ich jetzt gehen werde. Aber ich bin frei und arbeite gerne. So einfach ist das.

Original-Titel: "Mike Ross looks back at RNI"
Fotos: © freewave archive, Hans Knot

Aus RADIOJournal 8/2003