RNI Memories
Erinnerungen
von Hans Knot

RNI Memories (Teil 12)
Der Sturm vom 22. November 1971
von Hans Knot

Das RNI-Sendeschiff MEBO II war im Großen und Ganzen ein grundsolides Schiff welches auch starken Stürmen trotzen konnte. Nur einige Male stürmte es auf der Nordsee besonders heftig. Die Wellen donnerten dermaßen gegen die niederländische Küste, so dass die MEBO II in Seenot geriet. Ein Beispiel dafür ist der Sturm vom 22. November 1971. Er wütete fürchterlich und ließ das Schiff am Morgen vom Anker schlagen. „Die MEBO II, die MEBO II treibt fort...“ gab Deejay Leo van der Goot über den Sender an die Hörerschaft bekannt.

Radio machen von See war nicht immer lustig. Bei einigen Deejays führte bereits ein kleiner Luftzug zu einem Gefühl von aufkommender Seekrankheit. Eine Meldung über Windstärke 2 reichte aus, um einen Eimer mit ins Sendestudio zu nehmen. Andere Deejays setzten ihre Arbeit selbst bei Windstärke 7 fort als ob nichts los sei. Aber auch die Konstruktion des Schiffes und die Lage der Studios im Schiff bestimmten die Windfühligkeit und damit die Schwankungen des Schiffes und die Wahrscheinlichkeit von Seekrankheit. Um dem vorzubeugen, musste immer genug Ballast vorhanden sein in Form von schweren alten Ankerketten oder Eimern mit Kies. Damit konnte das Sendeschiff unter schwierigen Wetterbedingungen einigermaßen stabil liegen bleiben. Die MEBO II hatte ausreichend Ballast an Bord, aber einige Male tobte ein Unwetter so schwer, dass es Probleme gab. 

Um zehn Minuten nach acht am Morgen des 22. November 1971 funkte Kapitän Jan Harteveld (Bild) von der MEBO II einen Bericht an die Küstenfunkstation Scheveningen Radio und teilte mit, dass das Sendeschiff vom Anker losgeschlagen war und abtrieb. Zuvor hatte DJ Leo van der Goot bereits im Programm von Radio Nordsee International einen Hilferuf in den Äther geschickt: „Dies ist das Radiosendeschiff MEBO II ... Den Vermutungen unseres Kapitäns und unserer Mannschaft zufolge sind wir vom Anker geschlagen ... Wir bitten Sie, unser Büro in Hilversum von diesem Vorfall zu unterrichten ... die MEBO II, die MEBO II treibt fort.“

Van der Goot muss sehr nervös gewesen sein, denn das Büro von RNI war bereits seit dem Eintritt von Peter Holland nach Naarden umgezogen. In seinem Lagebericht meldete er auch, dass die Sender stillgelegt würden, wenn das Schiff in nationale Gewässer abtrieb. Dies passierte dann auch tatsächlich. Radioprogramme von einem Sendeschiff – auch in Notsituationen - durften seinerzeit nur in internationalen Gewässern – außerhalb des niederländischen Hoheitsgebietes – abgestrahlt werden. Anderenfalls waren Maßnahmen der Behörden gegen das Schiff und die Mannschaft zu befürchten.

Nachdem der Kapitän der MEBO II Schevenigen Radio informiert hatte, wurde von Scheveningen aus sofort das Rettungsboot Bernhard van Leer los geschickt, um die Besatzung wenn nötig zu evakuieren. Außerdem startete die Marine vom Flughafen Valkenburg bei Den Haag ein Neptun-Flugzeug. Wie ein Spielball schaukelte die MEBO II führerlos in der tobenden Nordsee. Einige Mitglieder der Crew versuchten in das Rettungsboot umzusteigen. Im Laufe des Nachmittags gelang es der Besatzung des Schleppers Smitsbank, der inzwischen ebenfalls zu Hilfe geeilt war, das Sendeschiff in Schlepptau zu nehmen und in internationale Gewässer zurückzubringen. So konnten die Sendungen um halb fünf Uhr nachmittags wieder aufgenommen werden. Zuerst wurden die Hörer ausführlich über die Geschehnisse des Tages informiert. Danach durfte die Mannschaft Grüße und Wünsche an ihre Familien übermitteln.

Die Smitsbank hielt die MEBO II bis zum Abend im Schlepptau, anschließlich übernahm der kleinere Schlepper Thames diese Aufgabe. Er fuhr erst am Morgen des 24. November wieder weg, da nicht eher eine neue Ankerkette inklusive Anker ausgeworfen werden konnten. An Bord des Sendeschiffes befanden sich an diesem stürmischen Tag neben Leo van der Goot unter anderem Mike Ross, Brian McKenzie, Paul May und Terry Davis. Letzterer war vom Sturm so sterbenskrank, dass er sich an der Heizung festbinden ließ, die danach abrupt von der Mauer abriss. Im Laufe des Abends wurden die Programme fortgesetzt und in den Nachtstunden gaben Mike Ross und Leo van der Goot in der Sendung »Skyline« nochmals einen ausführlichen Report über die dramatischen Geschehnisse des Tages. Aus diesem Bericht hier eine kurze Zusammenfassung:

„...Bis fünf Minuten vor drei in der gestrigen Nacht fegte ein Nordweststurm mit Windstärke 11 über unser Sendeschiff. Danach brach sowohl die Kurzwellenantenne als auch die Fernsehantenne und einige Stunden später, um zehn Minuten vor acht Uhr morgens, funkte Kapitän Harteveldt SOS, in dem er meldete, dass die Ankerkette gerissen war und dass die MEBO II in Richtung Küste trieb. Er bat die Küstenwache um Hilfe und forderte einen Schlepper an. Innerhalb von 20 Minuten traf ein Flugzeug der Marine ein das uns im Auge behielt. Um kurz vor acht kündigte Leo an, dass die Sender abgeschaltet würden, da wir inzwischen in die nationalen Gewässer der Niederlande abgetriftet waren. Der Besatzung gelang es einen der Reserveanker auszuwerfen, der unser Schiff zeitweise in der Balance hielt, aber nicht stark genug war, um dem schweren Sturm zu trotzen.

Wir trieben immer mehr in Richtung Küste und beschlossen daraufhin den Reserveanker abzuschlagen. Der Maschinist und der Techniker versuchten die Motoren zu starten, aber es dauerte fast eine ganze Stunde bevor diese auf volle Touren kamen. Um halb neun war das Rettungsboot Bernhard van Leer in unmittelbarer Umgebung des Sendeschiffes, um eventuell Menschen von Bord holen zu können. Eigentlich war es für das Boot unmöglich, um längs unserem Schiff zu kommen. Um zehn Uhr morgens erschien auch die Königin Julia, ein weiteres Rettungsboot aus Hoek van Holland. Außerdem erschien noch ein Helikopter der Marine mit einigen Journalisten an Bord. Mit den laufenden Motoren schafften wir es die MEBO II vom Strand fern zu halten. Dem Schlepper Smitsbank gelang es schließlich uns in ruhigere Gewässer zu schleppen. Gegen vier Uhr am Nachmittag kamen wir mit »Driemaster«, präsentiert von Nico Steenbergen, zurück in den Äther, und wir werden - bis wir wieder auf unsere normale Ankerposition zurückgekehrt sind - rund um die Uhr senden.

Das Sendeschiff hatte übrigens keine Ladung mehr an Bord, da wir noch hätten bevorratet werden müssen, so war es ein wahrer Spielball der tosenden Wellen. Der Zustand der MEBO II ist nun wieder völlig unter Kontrolle und die Stimmung ist ausgezeichnet. Wir wollen Kapitän Harteveldt danke sagen für seine außergewöhnlich gute Leistung und auch den Besatzungen der Rettungsboote Smitsbank und Thames. Wir liegen nun vor der Küste von Noordwijk, was eine völlig andere Position ist im Vergleich zur selben Zeit gestern. Unsere heutige Position ist 52 Grad 16 Minuten Nord und 4 Grad 2 Minuten Ost. Terry Davis kommt gerade mit einer Karte ins Studio und zeigt uns, dass dies etwas nördlich des Hafens von Ijmuiden ist, was nicht Noordwijk sondern Egmond aan Zee zu sein scheint. Das ist in jedem Fall sicher 24 Meilen entfernt von Scheveningen, wo wir normalerweise vor Anker liegen. Heute früh waren wir zirka 70 Meilen südlich von Scheveningen, so dass wir sagen können, dass wir eine schöne Tour entlang der niederländischen Küste gemacht haben.

Es war eine frühe Morgen-Show für Leo und eine späte Nacht-Show für Mike. Leo sitzt noch immer hier und wir nehmen unsere Hörer mit zu unserer neuen alten Position. Inzwischen liegen wir etwas weiter, und zwar auf der Höhe der ehemaligen REM-Insel bei Noordwijk. Ein Schlepper hält uns am Kabel treibend. Kerle, die im Übrigen heute einen hervorragenden Job gemacht haben. Momentan ist nicht mehr so eine rauhe See bei einer Windstärke von 8 bis 9 und wir haben keine Schlagseite mehr. Eigentlich ist alles ‚Peace und quiet’.

Ob wir wohl viele Zuhörer haben bei dieser speziellen Folge von »Skyline«? Wenn Sie diesem Programm lauschen und finden, dass das eine besondere Sache ist, wenn Radio Nordsee International unter diesem Umständen sendet, dann schreiben Sie uns einen Brief. Wenn ich so an den Zustand von gestern Morgen denke, dann erinnere ich mich, dass es sehr hektisch an Bord zu ging, aber dennoch schien alles sehr koordiniert abzulaufen. Ich untersuchte zusammen mit Nico Steenbergen das Schiff und Mike machte Sandwiches. Es war ein sonderbares Erlebnis, denn der Kapitän gab uns Anweisungen, wie wir das Schiff steuern mussten, verließ die Brücke - nachdem er uns viel Glück gewünscht hatte - und ging zu einem anderen Abschnitt der MEBO II. Wir fühlten uns in diesem Augenblick wie echte Seeleute, was wir auch wirklich sein mussten.

Schön ist es zu berichten, dass wir gestern Abend in den Fernsehnachrichten den Bericht sahen, dass unglaublich viele Menschen zum Scheveninger Boulevard gekommen waren um zu schauen, ob wir in den Hafen einlaufen würden. Sie konnten nicht wissen, wie wir uns immer verhalten und dass wir nicht den einfachsten Weg wählen können. Man erzählte, dass es nur 500 Meter ausmachte, obwohl Radio Scheveningen meldete, dass es noch ungefähr 2,5 Kilometer waren. In jedem Fall spielten wir eine Platte für alle Menschen, die am Strand warteten und sich wiederum in uns getäuscht hatten.

Die lustigste Bemerkung, die gestern gemacht wurde, haben wir Radio Scheveningen zu verdanken. Man sagte uns, dass, wenn alles schief laufen würde, wir Hilfe vom Helikopter bekämen. Das fanden wir eine fabelhafte Idee, denn in Amsterdam nehmen wir auch nie die öffentlichen Verkehrsmittel, sondern ein Taxi und so hatte ich überhaupt keine Lust in das Rettungsboot zu gehen, denn dann muss man solche hässlichen Sprünge machen. Wir haben daraufhin gemeldet, dass dies zwar eine gute Idee sei, aber dass wir einen enorm großen Sendemast auf dem Schiff stehen hätten, wodurch sich dem Schiff sehr vorsichtig genähert werden müsste. Kurze Zeit später kam der Sprecher von Radio Scheveningen mit der Frage, ob wir den Sendemast nicht eben einholen könnten.

Mike kommt gerade mit einem Kasten Schokoladenmilch und einigen Dosen Erfrischungsgetränken ins Studio. Ja, Leo, wenn du ein wahrer Trinker wärst, würden dir die Tränen in die Augen springen, denn in der Vorratskammer herrscht Chaos. Alle möglichen Flaschen liegen größtenteils kaputt über dem Boden verbreitet. Mit den Zigaretten sieht es auch schlecht aus, denn das was wir nun im Studio haben ist das Allerletzte, obwohl noch einige Packen von diesem eklig starken Shagtabak übrig sind. Wir können im Übrigen behaupten, dass jeder an Bord glücklich ist und sich in guter Stimmung befindet, insofern man das über die Schlafenden sagen kann, denn es sind momentan nur drei Personen wach: Jan de Roode, Mike Ross und Leo van der Goot. Gerade kommt ein anderes Besatzungsmitglied, Theo van Dijk, mit unserer neusten Position ins Studio gelaufen: Wir befinden uns nun genau 52 Grad 20 Minuten Nord und 3 Grad und 59 Minuten Ost, was genau 17 Meilen außerhalb der Küste der Niederlande entspricht.“ Im Bild (von linka - vorn nach hinten): Rob Eden, Paul May, Brian McKenzie, Leo van der Goot, Nico Steenbergen und Hans ten Hooge.

Am 24. Februar 1972 gab es wiederum einen Ankerbruch. Auch dieses Mal hatte das Sendeschiff MEBO II Glück im Unglück. Erneut brach die Kette, aber dieses Mal gab es bedeutend weniger Publicity wie beim ersten Mal. Das einzige was die Zuhörer darüber zu hören bekamen, war eine kurze Mitteilung von Don Allen, der in seinem Programm von den Problemen mit dem Anker berichtete. Das letzte Mal, dass die MEBO II mit schlechtem Wetter Probleme bekam, war am 2. April 1973. Das war der Abend an dem die Norderney, das Sendeschiff von Radio Veronica, auf dem Strand von Scheveningen landete. Wunder über Wunder blieben weitere Unglücke dem Sendeschiff von RNI an diesem Tag erspart und so konnten die Deejays und Techniker mit dem Aussenden ihrer Programme fortfahren.

Original-Titel: "De storm van 22. November 1971"
Fotos: © Archiv Hans Knot

Aus RADIOJournal 3/2006