RNI Memories
Erinnerungen
von Hans Knot

RNI Memories (Teil 14)
Der größte Schreihals der Nordsee
von Ton van Draanen

Der größte Schreihals der ganzen Nordsee war zweifellos Leo van der Goot. Er versorgte zu Beginn der 70er Jahre unter anderem das Programm »Driemaster« für den niederländischen Service von Radio Nordsee. 1980 befragte Ton van Draanen ihn nach seinen Erfahrungen auf dem Sendeschiff MEBO II. Wir drucken dieses offenherzige Interview noch einmal in unserer Reihe „Erinnerungen an RNI“ ab.

Wer in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Radio hörte, bevorzugte oftmals - ohne viel darüber nachzudenken - einen bestimmten Discjockey. Manche DJs gefielen einem mehr als andere, manche fand man einfach „besser“. Erst später fragt man sich: Warum eigentlich? Was fand man damals gut an einem bestimmten Deejay und welche Qualitäten ließen den einen Deejay über alle anderen herausragen? Bei mir selbst war das Radio in diesen Jahren zum Beispiel eher auf der Wellenlänge 220 Meter eingestellt als auf 240, 192 oder 538 Meter. Mit anderen Worten: Was das Popradio anging, bevorzugte ich die Programme von Radio Nordsee, sie gefielen mir besser als die von Hilversum 3 oder von Radio Veronica. Und natürlich kultivierte ich dabei wieder meine persönlichen Vorlieben bezüglich der Moderatoren.

Menschen, die - wie ich fand - ihre Stimme nicht unbedingt im Radio hören lassen mussten, waren Tony Berk und Herman de Bruin. Ich bevorzugte eher Nico Steenberg, Hans ten Hooge, Mark van Amstel und vor allem Leo van der Goot. Van der Goot war ein echter Radiomann. Er ist heute immer noch bei den elektronischen Medien aktiv, nun als Programmdirektor bei RTL 4. Sein Stil und die Präsentation waren ausgezeichnet. Er hatte nicht nur ein enorm gutes Timing, sondern verstand es auch immer hervorragende Informationen zu geben. Er brachte die richtige Schallplatte zum richtigen Augenblick und machte - wie alle Moderatoren der RNI-Sendung »Driemaster« - die Hörerschaft aufmerksam auf die schöne Musik des Tamla Motown Labels. Und es muss noch hinzugefügt werden, dass der Mann selbst ein hervorstechendes Merkmal hatte: Van der Goot war der perfekte „Schreihals“.

Leo van der Goot wurde am 2. Januar 1950 in Amsterdam geboren. Es ist nicht bekannt, ob er direkt nach seiner Geburt genauso laut schrie wie später in seiner Radiokarriere. Er sagt selbst, dass seine Schulausbildung diesen Namen eigentlich nicht verdiente. Die Vorbereitung auf unser Interview begann mit solchen und weiteren ausweichenden Scherzen, und es schien dann auch eine Zeit lang so, als würde das Interview keine seriöse Geschichte ergeben. Auf die Frage, wie er mit dem Radio in Berührung kam, antwortete er, dass er es zuerst direkt über die Steckdose probiert habe. Glücklicherweise kam er nicht viel später in eine seriösere, wenn auch immer noch humoristische Laune, und dies ergab die folgenden ausführlichen und persönlichen Informationen:

„Als kleiner Junge hörte ich viel Radio Caroline und Radio London, weil der Empfänger, den ich bekam, zufällig darauf abgestimmt war. Nachdem der Gesetzgeber im August 1967 den Seesendern vor der britischen Küste das Ende bereitet hatte und Radio Caroline auch bereits einige Monate verschwunden war, begann ich Radio Veronica zu lauschen. Ich muss sagen, dass es mich schon immer fasziniert hat, dieser Jugendtraum, auf einem Schiff zu sitzen und Schallplatten zu drehen. In dieser Zeit begann ich dann auch selber etwas mit Plattenspielern und Radios und Mikrofonen zu stümpern. Und schneller als gedacht spielte ich auf einem Jugendfest den DJ...

Das geriet außer Kontrolle, nachdem mich ein Freund auf eine Annonce aufmerksam gemacht hatte, in der der Krankenhausfunk Radio Lucas des gleichnamigen Krankenhauses in Amsterdam neue Mitarbeiter suchte. Ich bin zu einem Test gegangen und wurde direkt als Moderator angenommen. Bei Radio Lucas saßen bereits Menschen wie Hans Hogendoorn, Ferry de Groot, Gerard Smit und Jack Aalten. Es waren genau diese späteren RNI-Mitarbeiter, die mir bei Radio Lucas die Kniffe des Metiers beigebracht haben. Zu der Zeit, als wir bei Radio Lucas aktiv waren, entstand der niederländische Service von RNI, und Hans Hogendoorn ging als erster dorthin, um als Nachrichtensprecher unter dem Namen ‘Hans ten Hooge’ zu arbeiten. Ab einem bestimmten Zeitpunkt benötigte man einen zweiten Nachrichtensprecher. Über Ferry de Groot wurde ich gefragt, ob ich zu John de Mol Senior in das Büro in einer Villa an der Frans Halslaan in Hilversum gehen wolle. Am nächsten Tag war ich bereits als Nachrichtensprecher auf die bekannte Art und Weise von ‘bla, bla, bla, bla’ und ‘bla, bla, bla, gut so Junge’ angenommen und eine Woche später saß ich schon auf der MEBO II, dem Sendeschiff von Radio Nordsee.

Zunächst stellten wir lediglich die Nachrichtensendungen zusammen und lasen sie vor. Erst später, im Jahre 1971, begannen wir am Sonntagmorgen, zwischen sechs und sieben Uhr, etwas live zu präsentieren, etwa unter dem Motto ‘Morgenstund hat Zahnpasta im Mund’. Außerdem ersetzten wir Deejays, die im Urlaub waren oder von denen keine vorproduzierten Sendungen angekommen waren. Mein erstes ‘Stellvertreterprogramm’ war eins für Jan van Veen im Juni 1971. Im Sommer des Jahres 1971, um genau zu sein im August, bekam der niederländische RNI-Dienst zum ersten Mal eine Erweiterung der Sendezeiten und man sendete dann zwei Stunden länger bis sechs Uhr abends. Dies bedeutete, dass ab vier Uhr am Nachmittag ein neues Programm geplant wurde, das aufgrund des Mangels an DJs an Land von den Nachrichtensprechern an Bord moderiert werden durfte. Ja, und damit war das Programm »Driemaster« geboren.

Die Sendung »Driemaster« wurde relativ schnell erwachsen, und das passierte wirklich nicht wegen meinem Geschrei und Unsinn, sondern durch Hans ten Hooge, dem Mann im Hintergrund. Hans hatte den Namen, das Jingle und die Erkennungsmelodie entwickelt und erstellte zunächst ein sehr striktes Format, wodurch »Driemaster« das erste Programm mit einem echten Format auf Radio Nordsee wurde. Ich glaube auch noch immer, dass »Driemaster« wegen dieses starken, strikten Formats so erfolgreich wurde. Wir hielten uns dann auch bis zum Umfallen daran. Der Nachteil von »Driemaster« war, dass wir, also Nico Steenbergen, Hans ten Hooge und ich, uns immer abwechselten.

Wir waren drei Personen mit total unterschiedlichen Charakteren. Hans war eigentlich überhaupt kein Deejay, aber - wie heute noch - ein perfekter Radiomann, und Nico konnte ein wenig aus dem Rahmen fallen und hatte immer wieder kritische Texte. Was uns drei verband, war das eisenstarke Format. Wir verstanden bereits damals, dass diese Formel der beste Schlüssel zum Erstellen eines guten Programms war. Außerdem fiel es bei RNI auf, denn alle anderen Deejays hatten noch nie etwas von ‘Formatradio’ gehört, geschweige denn das Prinzip gehandhabt.

Wir begannen jeden Nachmittag mit einer Motown-Platte aus vergangenen Jahren, gefolgt von der Erkennungssignatur und der ‘Treiterschijf’. Dann folgten Platten aus den Top 10, zwei Oldies, zwei Scheiben, die weiter unten in den Top 50 rangierten und so weiter. Später, als ich »Driemaster« alleine präsentierte, waren es Blöcke von drei Platten mit ziemlich strikten Vorgaben - eigentlich mehr eine Art Viertelstunden-Format. Ab einem bestimmten Zeitpunkt hatten wir in »Driemaster« unter dem Namen ‘Jochie’ auch eine Geschichte in Fortsetzungen. Zufälligerweise habe ich vor einigen Wochen die Bänder noch einmal abgehört und ich muss sagen, dass es eine Menge totaler Wahnsinn war: In ‘Jochie’ gab es mehr Geräuscheffekte als Text. Die Idee war entstanden, nachdem ich eine Reklameplatte, eine englische Platte mit einer Geschichte drauf, erhalten hatte. Weil ich das so schön fand, übersetzte ich sie und ging gemeinsam mit Nico Steenbergen ins Produktionsstudio an Bord und wir nahmen sie auf Band auf. Davon ausgehend schrieb ich eine Fortsetzung der Story, und so ist ‘Jochie’ entstanden.

Die Geschichte handelt von einem Jungen, der im Weltall landet und dort allerlei unsinnige Dinge macht. Er trifft verschiedene verrückte Typen, verliebt sich und ... was weiß ich, was sonst noch alles. Die Geschichte schleppte sich in zweimal zwölf Teilen dahin, und wenn ich die Texte jetzt im Detail aufschreiben würde, könnte ich mir vorstellen, dass jeder vor Lachen glatt umfallen würde. Nicht weil es so komisch war, sondern einfach weil es überhaupt keinen Sinn ergab, völliger Nonsens eben. Der eigentliche Kern der Story dauerte pro Folge lediglich 30 bis 50 Sekunden, während das Stück so an die vier Minuten Sendezeit hatte. Wir begannen mit einer einleitenden Melodie, dann ein Rückblick auf das Vorangegangene, danach ... eine halbe LP mit Geräuscheffekten, die wir verrückt ineinander und durcheinander montierten. Einfach mit dem Messer ran und dann die Stücken Band aneinander kleben - ganz egal wie. So entstand die Geschichte fast wie von selbst, dann wieder einige Geräuscheffekte und anschließend eine Schluss-Signatur.

Die Engländer waren übrigens gar nicht froh über die Tatsache, dass die Niederländer zwei Stunden mehr Sendezeit erhielten. Nun, nach all den Jahren kann ich ruhig meine Meinung über einige der Engländer sagen. Alan West und Stevie Merike waren sehr gute Deejays, aber in meinen Augen zwei ziemlich arrogante Säcke. Sie waren eingebildet und überzeugt davon, dass sie RNI völlig alleine machten. In dieser Zeit stellte sich heraus, dass der niederländische Dienst kommerziell erfolgreich war. Um der Nachfrage der Inserenten gerecht werden zu können, musste der Service erweitert werden. Es wäre natürlich Wahnsinn gewesen, auf diese Stunden ein paar Engländer zu setzen, denen in den Niederlanden keine Sau zuhörte.

Das Leben an Bord mit den Engländern war im übrigen fifty-fifty. Mit Dave Rodgers hatte ich sehr gute Kontakte, was in der Anfangsperiode auch auf Paul May und Terry Davis zutraf. Nur ... Crispian St. John, Alan West und Stevie Merike sah ich lieber nicht. Diese Herren hatten nach August 1967 sehr kurz bei Radio Caroline gearbeitet und dachten wirklich, dass sie ‘Gott’ höchstpersönlich waren. Sie waren dann auch diejenigen, die heftig protestierten, als wir mehr Sendezeit erhielten. Es fehlte ihnen total an Einsicht und sie wollten die Tatsache, dass der niederländische Service das meiste Geld hereinbrachte, nicht sehen. Wie gesagt, im allgemeinen waren die Kontakte recht nett und ich habe unglaublich viel an Bord gelernt. Aber das meiste habe ich doch von Hans ten Hooge gelernt.

Hans verpflichtete einen zu ‘lächeln’, sobald das Mikro anging. Er brachte es fertig, dir mit der Zeitung auf deine Hände zu schlagen. ‘Smile, verdammte Scheiße,’ schrie er dann, ‘jede Platte, jede Ankündigung musst du lachend bringen, es muss alles gut sein.’ Die ganze technische Arbeitsweise und die Radiomentalität - dieses ‘frontal durch die Wand gehen’, wenn es notwendig war - da habe ich ihm viel zu verdanken.

Ich musste für Hans einmal einen ganzen Tag lang ‘Man of Action’, die RNI-Melodie, von zwei Minuten und noch was Länge auf 20 Sekunden schneiden. Ich musste ein ganzes Stück herausnehmen, und das durfte nicht auffallen. Nach 50 Montagen fand er es immer noch nicht gut genug und ... hoppla, da fing ich wieder von vorne an. Im nachhinein bin ich Hans wirklich dankbar dafür, dass er mich so hart angepackt hat.

Wenn die Vorratshaltung an Bord nicht ganz so war, wie sie sein sollte, machten wir allerdings auch schlechte Zeiten durch. Wir begannen um einen Tender zu flehen, häufig in Form einer zynischen Bemerkung nach den Nachrichten. An den Programmen war die ernste Situation ansonsten nicht zu merken. Wir sagten dann zwar einige Dinge, aber die konnten lediglich von denjenigen verstanden werden, die das Boot kannten. Es war so, dass in jener Zeit die Organisation von ‘Geiser’ (Durchlauferhitzer) und ‘Boiler’ (Boiler) - das stand für die RNI-Eigentümer Meister und Bollier - besonders schlecht lief. Es kam vor, dass du eine Zeit lang ohne frisches Essen auf dem Sendeschiff warst. So etwas dürfte bei einer straff geführten Organisation eigentlich nicht möglich sein. Ein anderer Faktor war, dass ich genau zu dem Zeitpunkt, als der Bericht über die Essensituation nach den Nachrichten über den Äther ging, mit dem Vorratsboot hinter der MEBO II lag, um das Essen herüber zu heben. Aber das gelang einfach nicht, da Windstärke 11 herrschte. Das war übrigens eines der wenigen Male, dass ich todkrank war.

Nachdem wir das Vorratsschiff, die alte Offshore I von Wijsmuller, aus Ijmuiden nach Scheveningen geholt hatten, konnten wir selbst tendern. Es war ein Fehler in der Unternehmenspolitik von Meister und Bollier, dass sie bei schlechtem Wetter bisweilen wochenlang nicht bevorrateten. Wir hatten zwar noch gefrorene Milch und Dosen mit altem Essen, aber man konnte nicht wirklich gut leben, geschweige denn gut arbeiten. Wie sie das später bei Radio Caroline getan haben, ist ihr Problem. Dann bist du auch nicht ganz dicht, finde ich zumindest. Aber 1971 konnte die Versorgung von Sendeschiffen noch völlig legal geschehen, also konnte auch regelmäßig für frische Nahrung gesorgt werden.

Es gab häufig ein Missverständnis unter der Hörerschaft in bezug auf die Bevorratung. Meister und Bollier waren die Besitzer der MEBO II und deshalb verantwortlich für die Besatzung und damit auch für die Bevorratung des Schiffes. Die Strengholt-Organisation, der der niederländische Sendedienst gehörte, lieferte nur die Programme. Strengholt hatte die Sender und Apparatur gemietet. Ab einem bestimmten Zeitpunkt übernahmen sie die Verantwortung für die Vorratshaltung, genau zu der Zeit, als die Ankerkette brach und die Herren Meister und Bollier kein Geld hatten, um eine neue anzuschaffen. Aber im Prinzip war Strengholt dafür nicht verantwortlich.

Im Sommer des Jahres 1973 ging ich an Land arbeiten. Davor hatte ich an Bord die Aktion ‘Hou 'em in de lucht’ (‘Halte ihn in der Luft’) organisiert. Das war intensives Arbeiten, und unmittelbar danach hatte ich Urlaub, denn ich hatte es langsam aber sicher richtig satt, ständig an Bord zu sitzen. Ich hatte dort so an die zwei Jahre gesessen und dachte: Das ist jetzt genug. Ich ging anschließend zu unserem Programmleiter Tony Berk und sagte ihm, dass ich weg will. Das ging allerdings nicht so flott, da Tony meine Bemerkung einfach ein wenig vergessen hatte. Ich habe dann sehr hoch gepokert und gesagt: Jungs, ich finde ja alles in Ordnung, was ihr so tut, aber wenn ich jetzt nicht von Bord kann, dann gehe ich weg. Das half, denn innerhalb einer Woche war ich von Bord und moderierte »Driemaster« an Land. Ich weiß natürlich, dass es ein ausgesprochenes Live-Programm war und dass es, als ich an Land ging, vollkommen anders wurde.

Der Vorteil war allerdings, dass »Driemaster« nun mit dem noch immer strikten Format von einem einzigen DJ gemacht wurde. In den letzten Monaten an Bord moderierte ich die Sendung gemeinsam mit Dick de Graaf. Wir hatten total verschiedene Charaktere, und so etwas funktioniert einfach nicht. Dick musste das, was ich während meiner Moderation aufgebaut hatte, abbrechen und sein eigenes Ding machen. Wenn ich dann wieder an Bord kam, musste ich sein Ding abbrechen und mein eigenes wieder instand setzen und so weiter. Das ist das größte Problem mit Live-Programmen bei Offshoresendern. Es ist alles gut gemeint, aber in der Praxis funktioniert es überhaupt nicht. Du kannst nicht Woche für Woche bei einem Programm den DJ auswechseln. So funktioniert das nicht für die Zuhörerschaft. Die sind anders, die haben andere Bedürfnisse. Es hat dem »Driemaster« nie geschadet, auf Programmzulieferungen aus der Konserve umzusteigen - und mir sicher nicht.

Ich empfand es als angenehm an Land zu arbeiten. Ich hatte zusammen mit Ferry Maat ‘Studio Pijp’, und dort war es sehr gemütlich. Außerdem konnte ich mich mehr mit Dingen beschäftigen, die bei der Station geschahen und das waren so einige. Zu einem bestimmten Zeitpunkt, im Spätsommer 1973, verließen Nico Steenbergen, Peter Holland und Jack Aalten die Station. Das war ein Trick von Jan Nagel von der Rundfunkgewerkschaft FNV. Der hatte den Dreien versprochen, dass es für sie Arbeit in Hilversum gäbe, und diesem Versprechen ist leider ein Teil der Jungs zum Opfer gefallen. Auch Strengholt, die Direktion von Radio Nordsee International, fuhr einen merkwürdigen Kurs: Sie forderten von uns, dass wir solidarisch sein müssten, obwohl sie uns keinerlei Garantien geben konnten. Die Vereinbarung war sogar so, dass wir sofort auf der Straße stehen würden, wenn der Sender auf Geheiß der Regierung den Betrieb einstellen müsste.

Irgendwann war alles eine solche Schlamperei, dass den Jungs nichts anderes übrig blieb als wegzugehen, was wiederum dazu führte, dass die Stimmung richtig vermiest war. Da kamen neue Mitarbeiter zu uns, und diese Sorte Typen war auch nicht gerade förderlich für ein gutes Betriebsklima. Nun ja, trotz allem war es doch gemütlich und wir lachten viel. Wir behielten Typen wie Pieter Damave, der immer unsinnige Witze parat hatte. Die Stimmung zwischen Ferry, Tony und mir war auch ausgezeichnet - und die anderen ... tja, solche Leute laufen in jeder Firma herum. Wir haben uns nichts daraus gemacht.

Was meine Person betraf, so änderte sich in den letzten Monaten der Geschichte von RNI nichts oder nur wenig. Du hattest deine Stelle, deine Arbeit für eine Radiostation und diese Radiostation musste zu einem guten Ende gebracht werden. Du konntest dich zwar hängen lassen, aber damit verhalf man so einem Sender lediglich zum Untergang. Damit war niemandem geholfen, und so setzten wir einfach unsere Arbeit fort. Wir taten unser absolut Bestes, um Radio Nordsee zu einem guten Ende zu verhelfen. Ich muss auch sagen, dass ich die letzte Zeit auch überhaupt nicht emotional aufgeladen war.

Mein einziger Gefühlsausbruch war nach der Annahme des Gesetzes gegen die Seesender. Damals war ich wirklich kaputt und habe geweint. Aber danach musstest du es akzeptieren, und wir führten, bis am Ende die Senderschließung eine Tatsache wurde, die Produktion von Programmen einfach fort. Wir wollten den Gedanken an Radio Nordsee nach dem berüchtigten 31. August 1974 am Leben halten, was letztendlich ausgezeichnet gelungen ist. Wenn du das wirklich willst, dann kann das letzte Programm das beste sein.

Im übrigen finde ich nicht, dass Radio Veronica in der letzten Sendestunde, die sehr emotional war, etwas verkehrt gemacht hat. Man soll Radio Nordsee und Radio Veronica in jener Zeit klar auseinander halten. Du konntest und kannst die Stationen nicht miteinander vergleichen. Es waren, was die Stimmung betrifft, zwei völlig verschiedene Radiostationen. Radio Veronica hat immer versucht, sich auf die Emotionen der Zuhörerschaft einzuspielen und musste daher bis zum Ende damit fortfahren. Wenn Radio Veronica auf dieselbe Art und Weise wie Radio Nordsee ‘Goodbye’ gesagt hätte, dann wäre das ein Stilbruch gewesen. Also taten sie es emotional und gut.

Radio Nordsee existierte, um viel Geld zu verdienen und damit basta. Und wenn es kein Geld mehr zu verdienen gibt, dann war’s das. Dann sorgst du dafür, dass du die letzte Nacht ein wenig lachst und das haben wir getan! Wir spielten zum Beispiel ‘Flashing Scheveningen’, indem wir junge Menschen mit ihren Autos zur Küste oder an den Strand von Scheveningen kommen ließen. Sie mussten auf Kommando mit ihren Blinklichtern Fragen von uns beantworten. Als die Station am folgenden Abend um acht Uhr endgültig aus dem Äther verschwand, waren wir alle enorm betrunken und haben viel, viel gelacht.

Wir lebten unsere Aggressionen auf bestimmte Kollegen mit Hilfe von Eiern aus. Die Eier flogen wie Projektile kreuz und quer durch das Schiff. Tony Berk fand sein Bett mit Butter beschmiert. Er kletterte auf den Tisch in der Lounge mit lauter Eiern, die er ebenfalls in seinem Bett gefunden hatte. Er brüllte, er habe ein Muttermal auf seiner Gesäßbacke, das er kurz sehen lassen wollte. Wir riefen, dass das nicht nötig sei, denn wir glaubten ihm auch so. John de Mol Senior - er schlief in der Kapitäns-Lounge - kam in seiner Unterhose nach draußen, um zu fragen, ob es nicht auch ein wenig leiser gehen könne. In diesem Augenblick explodierte knapp neben seinem Kopf ein Ei. Er wusste nicht, wie schnell er sich aus dem Staub machen musste. Wir haben ihn danach die ganze Nacht nicht mehr zu Gesicht bekommen!“

• Im Jahre 1980, zur Zeit des Interviews, war Ton van Draanen Redaktionsleiter des Freewave Magazine. Die Originalfassung seines Gesprächs mit Leo van der Goot erschien zuerst in dem Buch "Radio Noordzee Herinneringen". Redaktion: Hans Knot. Amsterdam: Stichting Media Communicatie 1994.

Fotos: © Archiv Hans Knot

Aus RADIOJournal 3/2005