RNI Memories
Erinnerungen
von Hans Knot

RNI Memories (Teil 10)
RNI in der britischen Presse
von Hans Knot

Nachdem Meister und Bollier, die Eigentümer von Radio Nordsee International, Ende 1969 holländische Pressevertreter zu einem Termin in der Werft „De Groot en Van Vliet“ in Slikkerveer nahe Rotterdam eingeladen hatten, brach eine lange Diskussion in den Zeitungen aus. Es wurde lang und breit diskutiert, welche politischen Folgen der Start einer Konkurrenzstation zum eingeführten Seesender Radio Veronica haben würde. Erst einige Monate später, in den ersten Februartagen des Jahres 1970, wachte auch die britische Presse auf. Es war nämlich bekannt gegeben worden, dass RNI auch Sendungen in englischer und deutscher Sprache aufnehmen wolle. Landesweite Zeitungen wie auch die lokalen Blätter stürzten sich auf die Meldung und setzten ihre Leser in Kenntnis. Einige Journalisten flogen sogar nach Holland, um das Sendeschiff MEBO II zu besichtigen. Hier ist eine Rekonstruktion der damaligen Debatte, zusammen gestellt aus Zeitungsberichten des Jahres 1970.

Nachdem bekannt geworden war, dass eine neue Offshorestation von Bord der MEBO II zu senden gedachte, gab die Presse in den Niederlanden die Meldung an die zuständigen Behörden weiter und warnte vor einer Bedrohung des öffentlich-rechtlichen Sendemonopols. Die vorherrschende Meinung auf der anderen Seite des Ärmelkanals ging in die entgegengesetzte Richtung, und viele englische Blätter begrüßen den neuen Sender. In einer Zeitung war zu lesen: „Die Piratensender sind fast zwei Jahre, nachdem Radio Caroline auf Betreiben der holländischen Reederei Wijsmuller aufgeben musste, nach Britannien zurück gekehrt. Wenn es nach dem Enthusiasmus und dem finanziellen Einsatz für den geplanten Sendestart geht, dann muss der jüngste Sender im Äther bleiben. Radio Northsea International wird am nächsten Samstag seinen vollen Sendebetrieb beginnen. Zu den ersten Werbetreibenden gehört der World Wildlife Fund, dessen Präsident Prinz Philip ist. Dessen Spot wurde von dem Züricher Büro der Organisation geschaltet. Ebenfalls in regelmäßigen Abständen wird ein kostenloser Werbespot für UNICEF laufen.“

Bei aller Begeisterung ignorierten die britischen Zeitungen nicht die Schwierigkeiten, die RNI mit den holländischen Behörden hatte. Im gleichen Artikel heißt es: „Die Radiostation, die vor der niederländischen Küste vor Anker liegt, wird 20 Stunden lang non-stop ihre Programme nach Westeuropa und Britannien heraus blasen, und all das wird von englischen und deutschen Discjockeys vom Schiff MEBO II geschehen. Dabei riskieren die britischen DJs bei ihrer Arbeit auf dem luxuriösen grün, gelb und rot angestrichenen Schiff, das fünf Meilen vor Scheveningen liegt, eine Geldstrafe von 400 Pfund und zwei Jahre Gefängnis. Das Radioschiff und das Versorgungsschiff sind beide in Panama registriert. Großbritannien und Norwegen üben bereits Druck auf die panamaischen und niederländischen Behörden aus, um die Ausstrahlungen zu stoppen. Die Regierung der Niederlande, die Radio Veronica zehn Jahre lang ignoriert hat, befindet sich in einer schwierigen Situation. Wenn sie jetzt gegen den neuen Piratensender einschreitet, müsste sie auch etwas gegen Radio Veronica unternehmen. Und das wiederum würde der fein ausbalancierten Koalitionsregierung bei den anstehenden Wahlen im März 1971 viele Stimmen kosten. Es scheint derzeit, dass keine Partei bereit ist, vor den Wahlen irgendwelche Schritte einzuleiten, die zum Untergang der Piraten führen.“

Eine Sorge, die in der britischen Presse ausgedrückt wurde, bezog sich auf den Ruf, der den schweizerischen RNI-Eigentümern voraus eilte. Viel wichtiger schienen ihnen aber die Discjockeys zu sein, welche die angekündigten Programme moderieren sollten: „Hinter dem neuen Radiosender stehen zwei reiche und sehr gerissene Schweizer, Erwin Meister, Eigentümer einer Telekommunikationsfirma, und Edwin Bollier, dem ein exklusiver Nachtclub gehört. Bislang haben sich die beiden das Projekt 500.000 Pfund kosten lassen. Sie sind sich sicher, dass es zum Erfolg führen wird. Nach fast zwei Jahren der Stille wird eine neue Offshore-Radiostation auf Mittelwelle 186 Meter den Sendebetrieb nach Großbritannien aufnehmen.

Die Riege der Discjockeys führt Roger ‘Twiggy’ Day (Bild) an, ein Mann, der früher bei Radio England, Radio Caroline und Radio Luxembourg tätig war. Er ist 24 Jahre alt und fungiert als Programmdirektor. Mitte Januar ist er aus Surbiton auf das farbenfrohe Schiff gezogen. Bei ihm sind Andy Archer (24) aus Kings Lynn, im echten Leben unter dem Namen Andrew Dawson, daneben Alan West (22) aus Morden und Johnny Scott (24) aus Edinburgh. Die Mannschaft komplettiert der 24-jährige Carl Mitchell, Sohn eines amerikanischen Zeitungsverlegers. Mitchell arbeitete 1967/68 bei Radio Caroline International und ging anschließend als Club-DJ zum örtlichen ‘Berenkuil’ nach Groningen in den Niederlanden. Es wird angenommen, dass die Sendungen von RNI am Freitag um 5 Uhr nachmittags starten werden. Das Signal wird England erreichen. Es ist möglich, dass RNI im weiteren Verlauf des Monats für die Versorgung Englands noch einen besseren Platz auf dem Radioband auswählen wird. Die Deejays haben im Großen und Ganzen freie Hand bei der Auswahl der Musik, die sie spielen wollen. Die Station strahlt bereits regelmäßig Testsendungen in Deutsch auf UKW aus, und diese Tests enthalten auch gelegentliche englischsprachige Ansagen, jedoch noch keine richtigen Programme. Es ist zu erwarten, dass Roger Day eine eigene Sendung am später Nachmittag oder am Abend haben wird.“

Die Beteiligung britischer Moderatoren war für die Zeitungen von besonderem Interesse, da diese ja gegen den Marine Offences Act verstießen, der die Unterstützung der Seesender unterbinden sollte. Speziell die Ernennung von Roger Day zum ‘Senior Announcer’ war Anlass zu einigen längeren Kommentaren: „Radio Nordsee, wie die Station in Europa bekannt ist, wird täglich zwischen 17.00 und 1.00 Uhr in englischer Sprache senden. Es werden [neben Day] weitere englische und amerikanische DJs dabei sein, obwohl derzeit noch keine Namen genannt werden. Ursprünglich wollte Nordsee nur amerikanische Moderatoren beschäftigen, um Probleme mit dem ‘Marine Offences (Broadcasting) Act’ der britischen Regierung zu vermeiden. Die Ernennung von Roger Day zum ‘Senior Announcer’ scheint jedoch auf eine Änderung der Strategie hinzuweisen. Roger Day begann seine Karriere im Rundfunk bei Radio England, einem von zwei Pop-Piratensendern, die 1966 von der MV Laissez Faire aus aktiv waren. Er stieß im November desselben Jahres zu Radio Caroline, wo er gemeinsam mit Robbie Dale, Johnny Walker, Ross Brown und Carl Mitchell auf der MV Mi Amigo arbeitete. Zu diesem Zeitpunkt waren die Ausstrahlungen von Radio Caroline bereits illegal.

Als Radio Caroline im März 1968 seinen Betrieb einstellte, bewarb sich Roger Day mit Erfolg um einen Job beim Englischen Dienst von Radio Luxembourg und ergänzte das ‘208-Team’, welches das Mitternachtsprogramm machte. Am vergangenen Montag ging Day auf das Sendeschiff, obwohl er bereits zuvor mit einer auf Band vorproduzierten Ansageschleife zu hören war. Das Schiff, die MEBO II, hat ‘für Notfälle’ Vorräte an Verpflegung und Wasser für 30 Tage. Die Station trifft diese Vorsichtsmaßnahmen für den Fall, dass es Widerstand von Seiten der niederländischen Regierung gibt. Die britische Regierung gab unterdessen bekannt, dass das General Post Office nicht gegen Radio Nordsee vorgehen wird. Wenn Sie den Discjockeys schreiben möchten, so richten Sie Ihre Briefe an: Radio Nordsee International, MEBO Ltd., Alblies-Riederstraße 315, CH-8047, Zürich in der Schweiz.“

Wie wir bereits aus einer der vorangegangenen Folgen dieser Artikelreihe wissen, entschieden die Schweizer RNI-Eingentümer innerhalb eines Monats nach den ersten Sendungen, die MEBO II von der niederländischen Küste abzuziehen und an einer Position vor der englischen Küste bei Clacton on Sea ankern zu lassen. Da sie es nicht geschafft hatten, Werbezeit in Holland und Deutschland zu verkaufen, hofften sie wohl, dass die britischen Inseln bessere Aussichten auf einen Gewinn bieten. Am späten Abend des 23. März erreichte das Radioschiff seine neue Position, nachdem es bereits während der Fahrt dorthin mit Reportagen von Carl Mitchell und Alan West on air gewesen war. Die Zeitungen zeigten wiederum Interesse und einige Journalisten machten sich auf den Weg zum Sendeschiff, wobei sie ganz legal an den Zollbeamten im Hafen vorbeikamen. Hier ist einer ihrer Berichte: „Die Zollbeamten fragten, ob wir Zigaretten oder Alkohol bei uns hätten. Sie trugen uns den Text des Marine Offences Acts vor, der einschüchternd klang, also hörten wir zu. Und schließlich unterzeichneten sie Papiere und es wurde uns erlaubt zu gehen. Man braucht etwa drei Stunden für die 20 Meilen von Brightlingsea zu Radio NorthSea International. Die See war rauh, und unser 40 Fuß langer, 20 Tonnen schwerer Trawler wurde wie der sprichwörtliche Korken hin und her geworfen. Ich bin kein erfahrener Seemann, und es ging mir alles andere als gut. In tieferen Gewässern, die von den Einheimischen ‘The Swin’ genannt werden, angelangt, sahen wir sie. Man kann sie nicht verfehlen, denn sie ist dekoriert wie ein Stück ‘art nouveau’, der Schiffskörper ist mir roten, grünen und gelben Teilen bedeckt, und der gesamte Anblick wird von dem hohen Mast dominiert, der weit in den Nordseehorizont reicht.“

Roger KentAn Bord zu gehen stellte sich für den waghalsigen Journalisten als riskantes Unternehmen heraus: „Wir trieben ihr entgegen, die Strömung brachte uns ihr zehn Fuß näher und dann wieder von ihr weg. Die Piraten standen an Deck und ich rief ihnen zu. ‘Können Sie sich ausweisen?’ fragten sie, und ich zog meinen Presseausweis heraus. Dann kam der gefährlichste Teil, als wir nämlich versuchten, uns an ihre Seite zu ziehen. Wir waren gerade wenige Inches entfernt, als das Heck der MEBO II herumdrehte. Ich stand an Steuerbord unseres Trawlers, als ich plötzlich einen lauten Schlag hörte. Als wir auf die MEBO trafen, wurde ich an das Steuerhäuschen gedrückt. Die Wellen warfen uns gegen das Heck der MEBO II, so dass unsere Reling brach und der eiserne Zaun an Steuerbord ebenfalls. Wir versuchten es dann ein zweites Mal, und da konnten wir das Tau fassen und uns heranziehen. Und dann wurde mir klar, dass ich springen musste...

Ich blendete die aufgebrachte See unter mir aus und stürzte mich auf die Strickleiter. Hilfreiche Hände zogen mich nach oben - ich war da. Als erste Person bei Radio NorthSea International, seit die Station nach England gekommen ist. Zwei Discjockeys waren anwesend, um sich mit mir zu treffen: Carl Mitchell, 23 Jahre, aus New York, bärtig, mit Wildlederjacke und zuversichtlich, und Alan West, 22 Jahre, aus Morden, nur 5 Fuß 6 Inches groß und noch viel bescheidener, als es seine Größe vermuten lässt. Die beiden führten mich unter Deck in ihre Lounge, die mehr wie ein Besprechungszimmer in der Vorstandsetage aussieht, als eine Kabine in einem 690 Tonnen schweren Piratenschiff. Derzeit sind drei englischsprachige DJs an Bord. Alan moderiert vier Stunden pro Tag, Carl fünf und Mark Wesley, 22, aus Thundersley in Essex, ebenfalls fünf. Außerdem ist da ein deutschsprachiger DJ. Drei andere sind gerade an Land und werden in der nächsten Woche zurück erwartet. Es arbeiten zwei Ingenieure an Bord, die sich um das Radioequipment kümmern, sowie eine achtköpfige Schiffsmannschaft, allesamt Holländer.“

Es ist deutlich, dass nicht nur das Aussehen der Discjockeys, sondern auch die luxuriöse Unterbringung den Journalisten beeindruckt hat. Dieser fügte eine bemerkenswerte Interpretation zum Namen des Sendeschiffes in seinen Bericht ein: „Die MEBO II (benannt nach dem ‘Marine etc. Broadcasting Offences Act’) ist ein extrem luxuriöses Schiff. Kein Küstenschiffchen, eher wie ein piekfeines Hotel. Jeder DJ hat eine Einzelkabine, was an einen modernen Wohnblock erinnert. Köche versorgen die Mannschaft mit Steaks, Hühnchen und holländischen Gerichten. Die Vorräte an Bord befinden sich in großen Kühltruhen, und sie reichen für 30 Tage. Die Atmosphäre an Bord steht in einem immensen Kontrast zu all der Furore, die rund um Radio NorthSea hier auf dem britischen Festland ausgebrochen ist: Alle sind total unbeeindruckt von den gesetzlichen Vorschriften. Sie glauben nicht, dass sie von irgendeiner Bedeutung sind. ‘Wir machen einfach unseren Job, einen Job, den wir gerne machen, und niemand kann uns davon abhalten. Wir sind in internationalen Gewässern’, meinte Carl. Ich berichtete von den Gerüchten, dass die Marine kommen wird, um den Sender aufzuhalten. ‘Das könnten die nicht tun’, sagte Carl, ‘Wir sind in internationalen Gewässern. Aber wenn sie doch kommen, dann laden wir sie ein, an Bord zu steigen und mit uns ein Bier zu trinken. Wie sollte sich ein so kleines Schiff wie unseres auch gegen die Macht der britischen Marine wappnen?’“

Der Journalist konfrontierte die DJs mit der offiziellen Beschwerde der Postbehörden, RNIs Mittelwellensender auf 183 Meter verursache Interferenzen auf der Notruffrequenz der Küstenwache in Walton on the Naze: „Die Discjockeys sind erstaunlich uninformiert über ihre Organisation oder sie behaupten zumindest, uninformiert zu sein. Die Werbetexte kommen gemeinsam mit den Schallplatten an Bord, und alles, was zu tun bleibt, ist die Texte zu verlesen. ‘Es ist besser, nicht allzu viel zu wissen. Wir verdienen ja exzellentes Geld. Wir sind in der am besten bezahlten Position in der ganzen Geschichte des Piratenradios’, meinte Carl. Er arbeitete bereits für Radio Caroline, als diese Station noch sendete. Alan war zuvor bei Radio London, Radio 390 und Radio 270. Die einzige Kritik, die die beiden ernst nehmen, ist die der Störungen der Küstenwache. ‘Wir möchten nicht, dass von uns gesagt wird, wir spielen mit dem Leben von irgend jemandem.’ Was ich nicht verstehen kann ist, warum eine Änderung der Schiffsposition um 100 Meilen irgendeinen Unterschied gemacht haben soll. Warum wurde dieser Vorwurf nicht schon früher erhoben? Die Leute auf der MEBO II akzeptieren, dass sie außerhalb des Gesetzes stehen, aber sie empfinden sich nicht als Piraten - im seemännischen Sinne.“

Wenn man heute die alten Berichte in der britischen Presse wieder liest, fällt einem sofort die Mischung aus Freude, Spaß und Erstauen auf, mit der über die neue Station berichtet wurde. Natürlich wusste die Presse über die bestehenden Probleme, und nur wenig später wurden diese noch schlimmer. Der MW-Sender der MEBO sorgte für erhebliche Störungen der Station der Küstenwache in Walton on the Naze, die Kontakt mit Feuerschiffen und den Trinity-House-Booten halten musste. Die Küstenwache erhöhte ihre Sendeleistung, um diesen Kontakt aufrecht zu halten. Nur ein Tag, nachdem die Beschwerden bekannt wurden, kündigte Mr. Stonehouse, der Postmaster General, Konsequenzen an, sollte RNI nicht die Mittelwellenfrequenz verlassen.

So stellte Nordsee am 27. März 1970 um 13.20 Uhr die Sendungen auf MW ein, setzte den Betrieb jedoch auf der Kurzwellenfrequenz 6210 kHz bis zum 1. April fort. Am 10. April kehrte die Offshore-Station auf 190 Meter (1578 kHz) zurück, doch bereits am 15. April begann ein leistungsstarker Mittelwellensender der Küstenfunkstelle in Rochester in Kent mit der Ausstrahlung eines Störsignals gegen RNI. Von diesem Zeitpunkt an machte der Sender fast täglich Schlagzeilen.

Die Regierung ihrer Majestät sagte, der Störsender sei aufgrund von Beschwerden aus Italien und Norwegen in Betrieb genommen worden. So oft RNI auch seine Mittelwellenfrequenz wechselte, das Jamming-Signal folgte stetig auf die neue Wellenlänge. Es war der Versuch, die Station für immer zum Schweigen zu bringen. Sogar eine Demonstration am Ort des Marinesenders konnte das Störsignal nicht stoppen. Während des Wahlkampfs in Großbritannien im Juni änderte RNI seinen Namen in Radio Caroline und unterstützte die Konservativen. Die Direktoren des Senders glaubten nämlich, dass eine konservative Regierung die Störsender stilllegen würde. Der Machtkampf dauerte insgesamt fast vier Monate, ehe RNI schließlich Ende Juli seine Sender abschaltete und sich auf den Rückweg zur niederländischen Küste machte.

Original-Titel: "RNI in the British newspapers"
Fotos: © freewave archive, Hans Knot, Buster Pearson, Theo Dencker, Graham Gill

Aus RADIOJournal 2/2003