RNI Memories
Erinnerungen
von Hans Knot

Dick de Graaf

RNI Memories (Teil 09)
Ein Blick zurück von Dick de Graaf
von Hans Knot

Während der zweiten Phase der Geschichte von Radio Nordsee International, als der niederländische Sprachdienst on air war, gab es nur eine Handvoll Liveprogramme. Eines davon wurde im Jahre 1971 gestartet: »Driemaster«, das jeden Tag außer Sonntag von 16.00 bis 18.00 Uhr lief. Es wurde schnell zu einem großen Erfolg, und Discjockeys wie Hans ten Hooge, Nico Steenbergen und Leo van der Goot wurden durch »Driemaster« zu bekannten Namen in der Radioszene. Ein anderer Moderator der Sendung war Dick de Graaf, der unter seinem richtigen Namen arbeitete. Vor einigen Jahren hatte ich Gelegenheit, mich mit ihm über RNI zu unterhalten.

Es ist ein wenig seltsam, Dick nach all den Jahren wieder zu sehen. Das erste, woran ich denke, ist: Er hat um den Bauch herum etwas zugelegt, wie ich auch, er hat immer noch die gleiche imposante Größe wie in den 70ern und seine Stimme hat sich auch nicht verändert. Obwohl ich über seine Vergangenheit im Grunde Bescheid weiß, muss ich dennoch die erste Frage stellen.

Wie bist du zum Radio gekommen?

Dick: Du wirst es nicht glauben, aber das war, weil ich Radio Monaco hörte. Die strahlten eine Sendung mit dem Titel »Youth for the World« aus, eine Art religiöses Programm, das eine starke Bindung zu seinen Hörern hatte. Sobald RNI 1970 gestartet war, hatte ich das gleiche Gefühl der Bindung, fühlte mich ähnlich stark angesprochen.

Hast du dich schriftlich um einen Job beworben oder kam jemand auf dich zu?

Dick: Eines Tages traf ich Willem van Kooten, alias Joost den Draayer, und der meinte, ich sollte in der nahen Zukunft einen Job bei RNI erhalten. Doch gerade, als er etwas für mich arrangieren wollte, verließ er seine Stelle als Programmdirektor, und das zerstörte erst mal meine Chancen. Dann aber brauchte die Station einen Nachrichtensprecher, und weil ich zuvor bereits regelmäßig RNI an Land besucht hatte, erinnerte man sich, dass ich eine gute Radiostimme hatte und eine gute Aussprache des Niederländischen. Das einzige, was sie nicht wussten, war, dass ich für diese Sorte Arbeit eigentlich völlig ungeeignet war. Aber wie dem auch sei ... es brachte mir eine schöne Arbeitsstelle ein. Ich sprach also die News und die Wetterberichte, bis eines Tages der Tender ein Rundschreiben auf das Radioschiff brachte, in dem stand, dass Dick de Graaf keine Nachrichten mehr verlesen darf.

John de Mol

Welche Radioerfahrung hattest du?

Dick: Wie viele Discjockeys bei früheren holländischen Offshore-Sendern machte ich meine ersten Schritte bei einem lokalen Krankenhausradio. Bei RNI gab es zwei Sorten DJs. Die einen kamen von Radio Lucas in Amsterdam und die anderen von RAZO in Delft. Ich gehörte zu den letzteren. Wir arbeiteten dort sehr hart, und insgesamt war RAZO so etwas wie ein Durchlauferhitzer für talentierte Radioleute. RNI hat von uns gut ausgebildeten Leuten dann reichlich Gebrauch gemacht.

Es ist bekannt, dass DJs wie Leo van der Goot, Marc von Amstel, Ferry de Groot und Hans ten Hoge von Radio Lucas kamen. Wer kam gemeinsam mit dir aus Delft zu RNI?

Dick: Außer mir waren das noch Nico Steenbergen, Herman de Bruin, der war 1974 Nachrichtensprecher, und Eduard Maathuis.

Wir sprachen vorhin von den Nachrichten. In seiner Dokumentation "Zeezenders in woelig water" von 1974 verriet Marc van Amstel bereits einige Geheimnisse im Zusammenhang mit den RNI-News. Kannst du für uns noch etwas mehr offen legen?

Dick: Das war alles ganz einfach. Wir hatten einige Kassettenrecorder, mit denen wir die Nachrichten von verschiedenen Radiosendern mitschnitten, von Hilversum 1, 2 und 3, BRT 1 und 2, vom BBC World Service und vom Deutschlandfunk. Dann hörten wir innerhalb von 30 Minuten die Bänder ab und schrieben unsere eigene Auswahl an Meldungen, die wir zu jeder vollen Stunde vortrugen. Wir hatten auch eine Telex-Maschine, über die wir die Nachrichten der United Press erhielten. Manchmal bezogen wir auch Telexe von der holländischen Zeitung Het Algemeen Dagblad, aber es war nicht ganz legal, diese zu verwenden.

Wann hast du zum ersten Mal ein Programm auf Radio Nordsee moderiert?

Dick: Im Oktober 1972. Das war eine schöne Zeit, weil wir damals rund um die Uhr in Niederländisch auf Sendung waren. Der Direktor des holländischen Dienstes, John de Mol, hatte beschlossen, dass die internationale Mannschaft durch holländische DJs ersetzt wird, weil der internationale Dienst von RNI kein Geld einbrachte. Für eine sehr kurze Zeit kamen fast alle Sendungen von den Bändern, die in den Studios in Naarden produziert wurden. Ein paar Sendestunden kamen aber auch live von der MEBO II. Ich hatte also mein eigenes Nachtprogramm. Eine Woche später meinten die schweizerischen Eigentümer des Schiffes, Meister und Bollier, dass de Mol den internationalen Dienst ohne ihre Erlaubnis eingestellt hatte. Wie dem auch sei ... es scheint, sie haben damals meine Arbeit registriert und anerkannt. Gleich darauf beschlossen sie, mich ins »Driemaster«-Team zu stecken, was bedeutete, dass ich zwischen vier und sechs Uhr nachmittags moderieren durfte. Zusätzlich moderierte ich ein paar Monate lang einige Programme, die in Naarden aufgezeichnet wurden.

Marc van Amstel

Du kamst damals in ein sehr fest gefügtes Team. War es schwierig, mit den anderen DJs zusammenzuarbeiten?

Dick: Überhaupt nicht, weil die anderen genauso verrückt waren wie ich. Ich bin heute immer noch verrückt, nur meine Haarfarbe hat sich verändert ... in grau.

Wie waren Eure Beziehungen zu den Leuten vom internationalen RNI-Dienst und zur Schiffsbesatzung?

Dick: Das »Driemaster-Team« hatte keine Probleme mit dem internationalen Team. Wir moderierten häufig gemeinsam mit ihnen. Obwohl es natürlich eine Schwierigkeit gab: Mit Ausnahme von Tony Allen sprach keiner von denen Holländisch.

In den zurückliegenden Tagen habe ich einige alte Aufnahmen noch einmal angehört. Darunter war auch die einer Sendung namens »Zondagmiddagtoestanden«, die live von der MEBO II kam. Ich kann mich erinnern, dass ich in den 70ern sehr gerne dieses Sportprogramm verfolgt habe. Heute wirkt die Sendung hingegen sehr langweilig, wie altbackenes Radio...

Dick: Ich würde sagen, bei den meisten der alten Programme hast du heute diesen Nachgeschmack. Sie klingen immer noch nett, wenn du beim Zuhören in deinen Erinnerungen an die damalige Zeit schwelgst. Aber du hast Recht, es ist altertümliches Radio. Schon 1970 kopierten RNI und Veronica eine Art US-amerikanisches Radio, das in den Staaten selbst schon rund fünf Jahre alt war. Radio steht ja niemals still. Es verändert sich Jahr für Jahr. Obwohl es natürlich genug Stationen gibt, wie zum Beispiel Hilversum, die sich immer noch an Formate aus der Vergangenheit halten. Im letzten Jahr war ich in den USA und durfte dort ein bisschen moderieren. Ich habe klar erkannt, dass wir in Europa mit allem hinterher hinken. Wir müssen immer noch eine Menge lernen ... aber natürlich sind die Niederlande ein ganz anderes Land als die Vereinigten Staaten.

Im Juni 1973 startete die Kampagne "Behaltet RNI auf Sendung", und das Studioteam aus Naarden kam zu Euch an Bord... 

LivestudioDick: Das war ein ziemlicher Brüller ... Unser Programmdirektor Tony Berk kam zum allerersten Mal an Bord. Er sagte immer, er hätte keine Zeit, zu uns zu kommen. Doch der wahre Grund war, dass er bei dem allerleisesten Windchen sofort seekrank wurde. Naja, wir machten damals eine Reihe sehr guter Shows zusammen auf der MEBO II.

Den größten Spaß hatten wir aber mit Ted Bouwens. Wir setzten an Bord das Gerücht in die Welt, dass wir wieder Probleme mit der Veronica-Organisation bekommen würden. Etwa in dem Stil, dass unsere Kampagne viel besser sei als deren eigene „Veronica Will Stay If You Want It“. Und die Leute waren auf einmal besorgt, dass das einen weiteren Veronica-Angriff auf unser Schiff provozieren könnte. Also begannen wir, eine ständige Wache einzurichten. In einer Nacht musste auch Ted Wache schieben, und wir drückten ihm ein Gewehr in die Hand, eines, mit dem man gewöhnlich Taue von einem Schiff zum anderen schießt. Man konnte mit dem Ding keiner Fliege etwas zuleide tun, aber Ted war in dem Glauben, es sei ein echtes Gewehr. Sobald er an Deck war, bastelten die Jungs vom internationalen Dienst ein paar Molotow-Cocktails und wir machten ein paar Geschosse aus Kuchenresten. Als wir fertig waren, warf Don Allen einen Molotow-Cocktail, einer schoss eine Signalrakete in die Luft und wir feuerten unsere Bomben auf Ted. Es war wie in einem Slapstick-Film.

An einem Tag im Januar 1974 haben wir Ted noch einmal verladen. Es war ein schöner Tag, aber wir hatten den Wetterbericht umgeschrieben und dabei sehr übertrieben. Wenn unsere Horror-Vorhersage eingetreten wäre, wäre Amsterdam komplett von der Landkarte verschwunden. Ted hat sie aber für bare Münze gehalten und war vollkommen verängstigt. Wir rieten ihm, er solle ein paar Stunden schlafen, so dass er ausgeruht ist, wenn der Sturm kommt... Dann zählten wir die Schwimmwesten und behaupteten Ted gegenüber, es würde eine fehlen. Und da er der Jüngste an Bord sei, stehe ihm keine Schwimmweste zu. Ted war zu Tode erschrocken. Dann schickten wir ihn zurück in seine Kabine und schütteten jedesmal, wenn das Schiff etwas schaukelte, Wasser hinein. Und das gab ihm den Rest. Er schrie und weinte und wurde total hysterisch. Kas, unser Koch, schlug ihn dann mit einer Pfanne k.o., andernfalls wäre er vielleicht über Bord gesprungen.

Ihr konntet damals Schulchöre gewinnen, für Radio Nordsee zu singen...

Dick: Ja, das war eine schöne Sache. Ich hatte diese spontane Idee, rief sofort unsere Verkaufsabteilung an und bekam eine Stunde später schon die Erlaubnis. Die Idee war, Schulchöre ein Lied über Radio Nordsee oder über mich singen zu lassen. Für den besten Beitrag sollte es als Preis einen Tagesausflug zum Delfinarium nach Harderwijk geben. Einige unserer Sponsoren beiteiligten sich an der Aktion. Labetours stellte die Fahrzeuge für den Ausflug zur Verfügung, der Getränkehersteller Hero die Erfrischungen und die Van-der-Valk-Restaurantkette die Abendessen. Wir erhielten über 300 Songs. Ich muss jedoch gestehen, dass die ersten beiden Songs Fälschungen waren, weil wir die Sendungen ja mit zwei Wochen Vorlauf an Land produzierten. Diese beiden Lieder wurden von Peter Koelewijn und Eduard Maathuis geschrieben, und wir nahmen sie mit einem richtigen Jugendchor auf. Alle restlichen Songs kamen dann aber aus den Schulen. Es war ein guter und ehrlicher Wettbewerb, und die Kids hatten großen Spaß daran.

RNI hatte eine wöchentliche Top-50-Show. Wurde diese Hitparade ehrlich zusammengestellt?

Dick: Sie war so ehrlich wie die Veronica-Top-40, und ich glaube, das sagt eigentlich genug. In den ersten Jahren versuchten die Plattenfirmen aus dem Strengholt-Konzern, dem Radio Nordsee gehörte, Einfluss auf die Musikauswahl zu nehmen. Später hatten wir mehr Möglichkeiten, die Platten, die wir selbst mochten, auszuwählen und vorzustellen. Das waren die sogenannten Kanskaarten, die als „Hit-Tipps“ der Discjockeys präsentiert wurden. Jeden Montag gab es ein Treffen der DJs, an dem wir die Auswahl trafen. Jeder tat gut daran, dieses Treffen nicht zu verpassen. Wenn du keine Zeit hattest, daran teilzunehmen, konnte es sein, dass die anderen einen fürchterlichen Song für dich aussuchten ... und du musstest den dann eine ganze Woche lang vorstellen...

Nach dem Ende von RNI im August 1974 gab es ein Versprechen von Seiten der niederländischen Regierung, dass alle Mitarbeiter von Veronica und RNI einen Job in Hilversum erhalten sollten.

Dick: Wir wussten, dass diese Worte nur leere Versprechungen waren. Bei RNI hatten wir die Möglichkeit, noch ein Jahr lang bei Strengholt zu arbeiten. Ich ging zwei Tage pro Monat dort hin und produzierte Werbespots. Aber die restliche Zeit war ich auf mich alleingestellt und musste nach Arbeit Ausschau halten, und das bedeutete, ich war die meiste Zeit zu Hause. Aber wir erhielten alle ein volles monatliches Gehalt. Es war also ein Jahr lang alles in Butter.

Nur eine Woche, nachdem RNI den Betrieb einstellte, konnte man deine Stimme wieder hören, und zwar in einem Spot für eine damals bereits bankrotte Firma aus Deventer.

Dick: Ja, das war Ordex. Ich glaube, alle Werbespots, die wir zuvor für RNI produziert hatten, wurden auf dem einen oder anderen Weg nach Spanien geschickt und dort von Sylvain Tack auf seinem Radio Mi Amigo ausgestrahlt. Er dachte wohl, wenn er diese Spots ausstrahlt, dann klingt seine Station sehr kommerziell.

Zwei Jahre darauf warst du wieder mit vorproduzierten Sendungen auf einem Seesender zu hören, ganze zwei Wochen lang bei Radio Mi Amigo.

Dick: Stan Haag und Peter van Dam waren beide krank und ich wurde von Herman Kreeftmeyer, der auch die Mi-Amigo-Roadshows durch Holland organisierte, gebeten, mich ihnen ein paar Wochen lang anzuschließen. Ich benutzte den DJ-Namen Jos van der Kamp, aber ich hätte genauso gut unter meinem richtigen Namen arbeiten können. In Nullkommanichts wusste nämlich jeder, dass ich wieder auf Sendung war. Sobald ich aus Spanien zurück kam, erhielt ich einige Telefonanrufe, alle an ein und demselben Nachmittag, von früheren RNI-Discjockes. Sogar ein Herr Pieters rief an, der bei den Behörden für die Einhaltung des ‘Marine Offences Act’ zuständig war. Er rief also an und bat mich, in sein Büro zu kommen.

Gab es irgendeine Art offizielle Bestrafung?

Dick: Nein, er warnte mich nur, ich solle es nicht noch einmal tun, andernfalls würde ich verhaftet werden. Ich versprach ihm, ich würde darüber nachdenken, und das war’s dann.

Welche Art Jobs hattest du anschließend?

Dick: Ich arbeitete für eine Firma, die Musikanlagen vermietete. Später übernahm ich den Laden. Wir hatten ein paar erfolgreiche Jahre, aber nach einem Problem mit der Steuer ging die Firma bankrott.

Bist du immer noch im Hörfunkbereich tätig?

Dick: Derzeit produziere ich auf Band ein Programm für WBNE in den USA, eine Art musikalische Brücke zwischen Europa und den USA. Es läuft wochentags außer mittwochs. Daneben arbeite ich noch für einen Sender auf den Antillen, für den ich ein Programm mit Musik aus der Karibik mache.

Eine letzte Frage: Wenn dich jemand fragen würde ... würdest du alles noch einmal machen?

Dick: Momentan, ja. Als ich verheiratet war, hatte ich natürlich andere Dinge im Kopf, aber heute spielt das keine Rolle mehr. Wenn ein paar Verrückte auf die Idee kämen, einen Seesender zu starten, und mich fragen würden ... ich glaube ich wäre bekloppt genug, mich ihnen anzuschließen.

Original-Titel: "Dick de Graaf looks back on RNI"
Fotos: © Theo Dencker, freewave archive, soundscapes.info

Aus RADIOJournal 8/2002