RNI Memories
Erinnerungen
von Hans Knot

RNI Memories (Teil 03)
Eindringlinge auf der MEBO II
von Hans Knot

Januar 1971. Meister und Bollier, die Eigentümer des Sendeschiffes MEBO II, konnten ihr Schiff vor der Nase des Veronica-Kapitäns ‘zurück stehlen’. Vor dem Veronica-Coup hatte es bereits zwei andere Versuche gegeben, die MEBO II auf hoher See aufzubringen. Der erste Versuch war von Manders und Heerema am Samstag, dem 29. August 1970 unternommen worden. Die beiden waren enttäuscht, weil sie nicht die Direktoren des geplanten niederländischen Dienstes von Radio Nordsee werden sollten. Einige Wochen später, am 19. September 1970, versuchte der 29-jährige Friseur Mario Welman aus Amsterdam, das Schiff zu stehlen. Welman war eine der exzentrischsten Figuren der Amsterdamer Flower-Power-Szene der späten 60er Jahre. Hier die ganze Geschichte...

Anfang 1970 waren die Umbauarbeiten, die aus der MEBO II ein Radioschiff machen sollten, noch nicht abgeschlossen. Es zeigte sich, dass die Pläne für das vielfarbige Schiff ausgesprochen kostspielig werden würden, und das junge Unternehmen geriet in finanzielle Schwierigkeiten. Meister und Bollier nahmen Kontakt mit Bull Verweij, dem Eigentümer von Radio Veronica, auf, der eine Million Gulden zur Fertigstellung der MEBO II zur Verfügung stellte. Es gab allerdings eine Bedingung bei dem Geschäft: Die Macher von Radio Nordsee versprachen, niemals Sendungen in Holländisch aufzunehmen. Als das Schiff schließlich umgebaut war und auf hoher See Programme ausstrahlte, wurde diese Vereinbarung gebrochen, und das brachte die Veronica-Organisation gegen RNI auf. Da zu diesem Zeitpunkt Meister und Bollier erneut das Geld ausgegangen war, entschlossen sie sich, ihr Schiff an die Konkurrenz zu verkaufen. Es war wiederum Veronica, das die große Summe von einer Million Gulden zahlte. Dieses Mal schickten sie jedoch ihren eigenen Kapitän, einen Holländer, mit seiner Crew an Bord der MEBO II, die  missliebige Sendungen verhindern sollte.

Im Januar 1971 bereuten Meister und Bollier ihre Entscheidung, das Schiff verkauft zu haben und sie entschlossen sich, es ‘zurückzustehlen’. Sie näherten sich der MEBO II mit einem Tender und teilten dem Kapitän mit, seine Frau sei ernsthaft erkrankt. Da nun Radioschiffe vom allgemeinen Seefunk ausgeschlossen waren, musste der Kapitän das Schiff verlassen, um die Kommunikationsanlagen an Bord des Tenders zu benutzen. Als er so von Bord gelockt wurde, kaperten Meister und Bollier die MEBO II mit vorgehaltenen Gewehren. Was folgte, war eine Reihe von Gerichtsterminen, durch die die Direktoren von Veronica versuchten, wieder an ihr Schiff zu kommen. Der Richter wollte jedoch keine Entscheidung fällen, da sich der Vorfall in internationalen Gewässern ereignet hatte. Seinerzeit hatten die Offshoresender ja den Spitznamen „Piratensender“, obwohl ihre Sendungen aus internationalen Gewässern keinesfalls illegal waren. Das Aufbringen der MEBO II durch Meister und Bollier war hingegen tatsächlich ein Akt der Piraterie ... und was die MEBO II anging, so war es nicht der erste. In der kurzen Geschichte des Sendeschiffes, noch während es legal Meister und Bollier gehörte, gab es bereits zwei frühere versuchte Diebstähle.

Diejenigen, die RNI am Samstag, dem 29. August 1970 eingeschaltet hatten, hörten, wie die Programme gegen 13.30 Uhr Mitteleuropäischer Zeit plötzlich unterbrochen wurden. Die DJs informierten ihre Hörer, dass zwei andere Schiffe in der Nähe aufgetaucht seien, die MV Viking und die Tug Husky. Die Viking näherte sich dem Radioschiff von der Seite, und ein berühmter holländischer Entertainer, Kees Manders, kletterte an Bord, um mit dem Kapitän zu reden. Einige Wochen zuvor war Manders von den schweizerischen Eigentümern gebeten worden, Pläne für den Start eines holländischen Sendedienstes auszuarbeiten. Ihm war außerdem versprochen worden, er würde der Direktor des Dienstes werden, sollte dieser on air gehen.

Manders liebte es stets, in der Öffentlichkeit zu stehen, und so erzählte er die Neuigkeit von seiner „Anstellung“ einigen Zeitungen, obwohl keinerlei Verträge mit Meister und Bollier unterschrieben waren. So erfuhr er von den RNI-Eigentümern in der letzten Augustwoche, dass er den Job nicht bekommen würde, weil er die Pläne publik gemacht hatte. Also versuchten Manders und dessen Freund Heerema die MEBO II zu stehlen. Als Manders an Bord war, widersetzte sich der MEBO-Kapitän jedoch, sein Schiff in den Hafen von Scheveningen schleppen zu lassen. Manders verließ das Radioschiff und drohte von diesem Zeitpunkt damit, die Ankerkette zu durchtrennen und das Schiff selbst abzuschleppen.

Alle diese Vorgänge wurden derweil live von den Nordsee-DJs übertragen, und sie riefen im Programm um Hilfe. Als die Situation gefährlicher wurde, bewaffneten sie sich sogar, unter anderem mit Molotowcocktails und Messern. Sie bereiteten sich darauf vor, ihre ‘Gäste’ zurückzudrängen, da die Mannschaft der Husky bereits einen Wasserwerfer auf den Sendemast der MEBO II gerichtet hatte - eine riskante Sache, einen Wasserstrahl auf einen unter Hochspannung stehenden Mast zu richten. Die DJs sprachen in ihren Sendungen die Warnung aus, dass dies mit Sicherheit den Tod der Husky-Mannschaft zur Folge hätte. Viele Hörer wollten natürlich mehr wissen und riefen die Telefonzentrale des Grand Hotel in Scheveningen an, wo sich die schweizerischen Eigentümer aufhielten.

Der öffentliche Aufruhr wirkte. Als der RNI-Tender, die MV Eurotrip, eintraf, verzogen sich die Eindringlinge zurück nach Scheveningen. Am späteren Nachmittag kam die niederländische Fregatte Van Nes bei der MEBO II an und blieb dort für den Fall, dass es zu weiteren Schwierigkeiten kommen würde. Die Vorfälle wurden rund 90 Minuten lang übertragen, und am Abend lief ein dreistündiges Programm, das von Andy Archer präsentiert wurde. Archer rekapitulierte die Geschehnisse des Tages und erfüllte die Musikwünsche der Besatzung der Van Nes. Der Moderator genoss den Rummel und freute sich über sein Publikum in Uniform.

Am 19. September 1970 war erneut Panikstimmung im Programm von Radio Nordsee International zu vernehmen. Die Diskjockeys teilten ihren Hörern mit, dass ein unbekanntes Boot in der Nähe des Radioschiffes vor Anker gegangen sei. Sie sprachen sogar von Plänen, dass das Schiff erneut geentert würde. Doch nach zehn Minuten stoppten die Durchsagen, und es war weiter nichts über den Vorfall on air zu hören. Erst ein paar Tage später, am 23. September, wurde in der Nachrichtensendung von den Problemen rund um das Radioschiff berichtet:

Im Hafen von Scheveningen hatte der 29-jährige Friseur Mario Welman aus Amsterdam ein Boot gechartert, das ihn zur MEBO II bringen sollte. Dort angekommen bat Mario um Erlaubnis, an Bord gehen zu können. Dies wurde ihm jedoch verwehrt. Als er dies vernahm, teilte er dem Kapitän mit, er würde nun an Bord kommen und das Schiff sowie die Kontrolle über die Radiostation übernehmen. Er versuchte das Angedrohte auszuführen, doch sobald er über die Reling geklettert war, wurde er gefasst und in eine Kabine gesperrt. Zuerst teilte ihm die MEBO-Crew mit, dass er über Bord geworfen werde, wenn er nicht friedlich mit seinem Boot abziehen würde. Doch der Skipper des angemieteten Bootes, der Scheveningen 18, weigerte sich, Mario zurück zum Hafen zu bringen. Also kontaktierte der Kapitan einen der Eigentümer der MEBO Ltd, Erwin Meister im Grand Hotel in Scheveningen, der versprach, persönlich vorbeizukommen und den Verrückten von Bord zu bringen. Meister setzte sich mit Tom van der Linden in Verbindung und bat ihn um Hilfe. Tom, der später traurige Berühmtheit erlangte, als er im Mai 1971 mit zwei weiteren Männern einen Bombenangriff auf RNI unternahm, transportierte Meister mit seinem kleinen Boot (MV Redder, etwa: „MV Heiland“) auf See.

Gleich nach ihrer Ankunft wurde in der Kapitänskabine ein Gespräch mit Mario Welsman geführt. Der ehemalige Friseur berichtete Meister, er habe ein Gerücht gehört, demzufolge die RNI-Sendungen bald beendet würden. Er fügte hinzu, er habe gehandelt, weil die MEBO II ein wunderschönes Schiff sei. Außerdem habe er es nicht ertragen können sich vorzustellen, dass der Sender verstummen und die DJs arbeitslos werden würden. Und als wenn das nicht schon genug Seemannsgarn gewesen wäre, berichtete er Meister, er habe von Freddy Heinecken, dem Multimillionär und Besitzer der Heinecken-Brauerei, die Erlaubnis, das Radioschiff zu kaufen und einen Vertrag mit Meister zu unterzeichnen. Erwin Meister war von Marios Geschichten jedoch wenig beeindruckt und ordnete an, den Mann von Bord zu bringen, sobald sich eine Gelegenheit ergeben würde.

Möglicherweise hatte Mario jedoch einen Reporter der holländischen Tageszeitung „De Telegraaf“ angerufen und ihm erzählt, dass er an Bord des Radioschiffes gehen würde. Am Morgen des 19. September charterte ein Journalist die MV Dolfijn von der Firma Vrolijk, um hinausfahren und zu sehen, was sich in internationalen Gewässern abspielen würde. Nach langen Gesprächen zwischen den Kapitänen der MEBO II und der Dolfijn, entschloss sich letzterer, den verwirrten Mario zurück in den Hafen von Scheveningen zu bringen. Auf der Rückfahrt erzählte Mario dem Journalisten dann, er wäre gerne noch etwas länger auf dem Radioschiff geblieben, doch hätten ihn die DJs dort nicht haben wollen.

Einige Jahre zuvor hatte Mario Welsman mit der Eröffnung einer Kette sehr teurer Friseursalons in verschiedenen Städten im Westen der Niederlande für Schlagzeilen gesorgt. Viele VIPs wurden zur Eröffnung des Salons in Amsterdam eingeladen und es wurde eine Champagnerparty geschmissen. Innerhalb eines einzigen Jahres waren alle Filialen aber wieder geschlossen, da Mario die aufgelaufenen Rechnungen niemals bezahlte und somit für bankrott erklärt wurde. Im Jahre 1980 machte Mario erneut Schlagzeilen, als er einen Tag nach der Ermordung von John Lennon einigen Zeitungen mitteilte, dass nach Lennons Tod nur noch ein Mensch mit klarem Verstand auf der Welt leben würde, und das sei natürlich er selbst. Danach vergingen lange Jahre, ehe die Welt erneut von ihm hörte: Der September 1992 brachte uns die Nachricht vom plötzlichen Tode eines der exzentrischsten Menschen der Amsterdamer Flower-Power-Szene der späten 60er Jahre...

Das Gerücht, das Mario vor seinem Ausflug zur MEBO II gehört hatte, stellte sich jedoch als wahr heraus. Nachdem Mario wieder an Land war, kehrte auch Meister am gleichen Nachmittag nach Scheveningen zurück. Am Abend kontaktierte er das Radioschiff von seinem Büro im Grand Hotel und ordnete für den nächsten Morgen die Einstellung des Sendebetriebs an. Er behauptete, er habe das Schiff an ein afrikanisches Land verkauft. Und er fügte hinzu, dass dies die beste Entscheidung für die Menschen in Holland sei: Durch die Einstellung von RNI könnte die Veronica-Organisation gestärkt werden und die niederländischen Behörden würden in Zukunft nicht mehr gegen die Offshoresender vorgehen. Dies war natürlich eine falsche Darstellung, und wir haben anfangs bereits die wahre Geschichte erzählt, dass die Direktoren von Veronica das Schiff MEBO II von Meister und Bollier erworben hatten. Dies ist mittlerweile allseits bekannt. In jenen Tagen jedoch sorgte der Close-Down von RNI für Verwirrung.

Am Tag nach der Schließung von RNI berichteten einige Zeitungen: „Die MEBO II ist nun nichts weiter als ein schönes, farbiges Schiff, da die Radiostation gestern früh ein für allemal geschlossen wurde. Die Stille auf ihrer Wellenlänge scheint die niederländische Regierung, die der Ansicht war, dass zwei Sender vor der Küste zuviel für das öffentlich-rechtliche System seien, für eine Weile zu besänftigen. Ein Sprecher von Minister Klompé sagte uns, dass gegen Veronica nichts unternommen wird. Der Minister wird eine größere Programmvielfalt für ‘Hilversum 3’ ankündigen sowie mehr Sendestunden pro Tag, so dass der Popsender besser gegen das kommerziell ausgerichtete Radio Veronica bestehen kann.“

Eine andere Zeitung berichtete, die DJs hätten mehrere Male angesagt, dass die Direktoren von MEBO Ltd. in Zürich den Erfolg von Radio Veronica nicht behindern wollten und dass dies der Grund für die Schließung von RNI sei. Während der letzten Sendung war angekündigt worden, dass das Radioschiff noch am gleichen Nachmittag in den Hafen von Scheveningen fahren würde. Dies geschah jedoch nicht, weil in diesem Fall dort wohl zu viele Gläubiger gewartet hätten. Larry Tremaine, ein Sprecher von MEBO Ltd., sagte zu Zeitungsreportern im Hafen, dass in der vorangegangenen Woche Gespräche mit der niederländischen Post (GPO) stattgefunden hätten. Die niederländische Regierung würde ein Anti-Offshoresender-Gesetz verabschieden, wenn das Radioschiff nicht off air ginge. Nach einem Anruf in der Zentrale der GPO wurde jedoch klar, dass es niemals Gespräche mit irgendjemandem der RNI-Organisation gegeben hat, da man RNI als illegale Einrichtung betrachtete, die keine Erlaubnis zum Betrieb eines Radiosenders hat.

Die Direktoren der MEBO Ltd. sagten also nicht die Wahrheit, genauso wenig aber die Direktoren von Radio Veronica. Als eine Zeitung nach einer Stellungnahme fragte, behaupteten letztere, sie wüssten überhaupt nichts: „Wir haben gehört, dass sie [RNI] eingestellt wurden aus finanziellen Gründen. Und was die Gerüchte angeht, wir hätten einen regelmäßigen Kontakt oder wären gar selbst mit den schweizerischen Eigentümern in Verbindung getreten, so können wir sagen, dass dies nur Gerüchte sind.“ Im gleichen Zeitungsbericht behauptete Meister, dass man sofort wieder zu senden beginnen würde, wenn es innerhalb von zwei Monaten eine Gelegenheit hierfür gäbe. Und er fügte hinzu, dass das Angebot des afrikanischen Staates über zehn Millionen Schweizer Franken einfach nicht abgelehnt werden konnte...

Original-Titel: "Raiders of the MEBO II"
Fotos: © RJ-Archiv; freewave archive

Aus RADIOJournal 11/2001