RNI Memories
Erinnerungen
von Hans Knot

Joost den Draayer

RNI Memories (Teil 06)
Der Abschied von Joost den Draayer
von Hans Knot

Im Februar 1972 kündigte Willem van Kooten - alias Joost den Draayer - an, dass er bei Radio Nordsee aufhören werde. Diese Nachricht erregte großes Aufsehen, nicht zuletzt deshalb, weil der angesehene Moderator dabei auch seine Zweifel über die Zukunftsaussichten der Seesender äußerte. 

Im ersten Jahr seines Bestehens wurde der niederländische Service von RNI vor allem wegen seiner Schallplattenpräsentationen mit Jan van Veen und Joost den Draayer populär. Aufstrebende Radiostars wie Peter Holland und Tony Berk mussten noch warten. Erst nach dem Abschied der großen Meister bekamen sie ihre Chance. Einige Zeit nach dem Start von Radio Nordsee waren bereits Live-Sendungen mit Leo van der Goot und Hans ten Hooge zu hören. Aber nur ein kleiner Teil der Zuhörerschaft bevorzugte deren Moderations­Stil. Die größte Popularität genossen damals noch Ton-Konserven, die zunächst in Hilversum und später in Naarden produziert wurden. Dazu gehörten auch Aufnahmen mit Jan van Veen und Joost den Draayer.

Im Februar 1972 sollte sich das ändern. Willem van Kooten, seinerzeit 31 Jahre alt, beschloss bei RNI aufzuhören und sich aus dem Staub zu machen. Der Sender konnte noch einige Monate von den beachtlichen Talenten des Mannes profitieren, der sich hinter dem Radionamen „Joost den Draayer“ verbarg. Dann war es vorbei. Willem van Kooten begründete seinen Abschied damit, dass er keine rechte Lust mehr habe für RNI Programm zu machen. Außerdem, so gab er an, ließen sich die Radio-Aktivitäten nicht mehr mit seinen Arbeiten für die eigene Plattenfirma und mit seinem Musikverlag vereinbaren. Van Kooten bezweifelte immer mehr die Zukunft der Seesender. In einem Interview mit dem Telegraaf behauptete er bereits am 17. April 1972: „Ich glaube, dass das Zeitalter des Piratenradios vorbei ist … wohlgemerkt, ich sage ‚ich glaube’. Wissen tue ich es nicht. Ob Radio Veronica und Nordsee verschwinden werden ist eine andere Geschichte. Ohne eine gute Station, die diese beiden Piraten ersetzen kann, gehen diese Schiffe was mich angeht nicht aus dem Äther.“

Überall Erstaunen. Man fragte sich, wie ein Mann, der früher acht Jahre für Radio Veronica gearbeitet hatte, das Piratentum plötzlich auf ein Nebengleis schieben konnte. In Hilversum und Umgebung machten zu dieser Zeit Gerüchte die Runde, dass van Kooten wieder einmal Streit mit einem prominenten Hintermann der Organisation, dem Unternehmer Strengholt, habe. Er selbst winkte ab: „Das ist alles Unsinn. Ich konnte mich nicht mehr völlig für das Programm einsetzen. Wenn ich etwas tue, dann will ich es auch gut machen. Zugegeben, neben dieser Programm-Müdigkeit habe ich noch einige Privatangelegenheiten mit der Direktion von Radio Nordsee zu regeln. Wir haben aber keinen Streit. Das sollte schon die Tatsache verdeutlichen, dass ich wahrscheinlich die Top 50 bei RNI präsentieren werde. Sicher ist das allerdings noch nicht. Ende dieser Woche fahre ich in Urlaub und möchte noch einmal in Ruhe darüber nachdenken.“

Damals ging auch das Gerücht um, die Gebrüder Verweij, Besitzer von Radio Veronica und frühere Arbeitgeber van Kootens, hätten ihm ein beträchtliches Gehalt geboten, um den Deejay ins alte Nest zurückzuholen. Van Kooten: „Wenn ich bei Radio Nordsee aufhöre, weil ich keine Lust mehr habe, diese Art von Programmen zu präsentieren, gehe ich doch nicht zurück zu Radio Veronica. Dann kann ich genauso gut bei Radio Nordsee bleiben. Nicht dass ich etwas gegen Veronica hätte. Ich komme ausgesprochen gut mit den Verweijs, den Deejays und den Technikern klar, aber ich will einfach keine Programme mehr präsentieren. Ich will meine Zeit der eigenen Produktionsgesellschaft widmen. Du musst einmal darauf achten, was dieses Jahr mit den Schallplatten von holländischen Künstlern passiert: Wir haben einen internationalen Durchbruch und daran will ich mitprofitieren. In Kürze komme ich mit Platten von Golden Earing, Greenfield und Cook und Shocking Blue heraus. Da kann ich die Energie nicht länger aufbringen, um mich völlig, zu hundert Prozent, sowohl für Radio Nordsee als auch für  mein eigenes Unternehmen einzusetzen.“

John de Mol Senior, seinerzeit Direktor des niederländischen Service von Radio Nordsee, hatte es bereits geahnt: „Willem ist ein Junge, der sich enorm viel zumutet. Seine Vielseitigkeit bringt ihn wohl oder übel in Schwierigkeiten. Jetzt macht er erst mal Urlaub, danach kommt er wieder her, und dann werden wir alle miteinander beratschlagen was zu tun ist. Über einen eventuellen Stellvertreter haben wir noch nicht gesprochen.“ Das bisschen Hoffnung, dass in der Bemerkung de Mols durchklang, war vergebens. Bei seiner Rückkehr gab der Mann mit der ewigen Zigarre zu erkennen, dass er noch für kurze Zeit mit den Top 50 fortfahren würde, bis Ferry Maat die Moderation im Juni 1972 von ihm übernimmt. Als Nachfolger für van Kootens wöchentliche Programmstunden wurde kurze Zeit später Tony Berk engagiert. Berk war bereits mit der Sendung »Branding« on air, eine Plattenpräsentation für Unternehmen, die wochentags zwischen neun und zehn Uhr via „220“ ausgestrahlt wurde.

Seine Bemerkung, dass das Piratenzeitalter vorbei sei, wird van Kooten wohl nie bereut haben. Es stärkte sein Ansehen als Mensch mit feinem Gespür für die Entwicklungen in der Medienlandschaft. Später sah er übrigens noch genug Chancen und Möglichkeiten bei den Seesendern. So versuchte er 1978, zunächst über „de Hooge Noord BV“ Sendezeit bei Ronan O'Rahilly, dem Direktor der Caroline-Organisation, zu mieten. Unter dem Namen Radio Hollandia sollte die Station als Stellvertreter für Radio Mi Amigo dienen. Programmbänder, unter anderem mit Jan van Veen, Will Luikinga und Joost selbst, lagen bereits an Bord des Sendeschiffes von Radio Caroline, der Mi Amigo, als deren Generator kaputt ging. Außerdem hatte man sich bereits an Rob Hudson (Ruud Hendriks, heute Endemol) und Marc Jacobs (Rob van Dam, heute RTV Noord) gewandt, um als Bordteam zu fungieren. Beide arbeiteten zu diesem Zeitpunkt für Radio Mi Amigo. Doch wegen technischer Mängel und dem Widerstand von Radio Mi Amigo kam Radio Hollandia letzt endlich nicht zustande.

Nach dem Scheitern von Radio Hollandia unternahm van Kooten gemeinsam mit anderen Partnern noch zwei weitere Versuche, um einen Seesender zu errichten. So gelang es ihm, einige Menschen an „Bord“ der Rough Sands, einem ehemaligen Marinefort in der Nordsee, zu beschäftigen, um Vorbereitungen für den Start einer  neuen Radiostation zu treffen. Dies spielte sich ebenfalls 1978 ab. Unter diesen Personen befand sich sein Schwager Hans Lavoo, der vom Besitzer des Forts, Prince Roy Bates, als Geisel genommen wurde. Als auch dieser Versuch zu nichts führte, beschloss van Kooten sich einige Jahre im Hintergrund zu halten, bis sich 1984 die Möglichkeit ergab, einen niederländischen Service von der MV Ross Revenge (dem neuen Sendeschiff der Caroline-Organisation) aus zu starten. Für diese Station, Radio Monique, machten van Kooten und Tony Berk einige Zeit Programm. Später, 1987, begann er mit anderen loyalen Freunden das Satelliten-Radioprojekt Cable One. Leider - denn ich betrachte Cable One noch immer als eine der besten Satelliten-Radiostationen, die via Kabel in den Niederlanden verbreitet wurden - ist dieses Projekt im Keim erstickt worden.

Wir haben jetzt 2002, neun Jahre nachdem ich diese Geschichte aufschrieb und inzwischen mehr als 30 Jahre nach dem Abschied von van Kooten bei Radio Nordsee. Aber vom Radio hat er nie wirklich Abschied genommen. Unter anderem war er Aktionär bei Business Nieuws Radio, und er ist noch immer Miteigentümer von Arrow Classic Rock. Darum, und natürlich wegen seiner bahnbrechenden Radioarbeit für Radio Veronica und Radio Nordsee, gilt Joost den Draayer zu Recht als „Großvater“ aller Radiodeejays in den Niederlanden.

Original-Titel: "Het vertrek van Joost den Draayer"
Fotos: © Hans Knot, freewave archive

Aus RADIOJournal 4/2002