Die Voice of Peace
Eine Artikelserie von Hans Knot
Themen-Special der Redaktion RADIOJournal

Die Voice of Peace (Teil 16)
Abie Nathan in London
und eine Tagebuch von Crispian St. John

von Hans Knot

London am Morgen des 27. April 1976. Nichts deutete darauf hin, dass die Metropole sehr bald Gastgeberin einer Very Important Person werden sollte. Am Nachmittag dieses Tages landete eine Maschine auf dem Flughafen Heathrow. An Bord war Abie Nathan, Friedensaktivist und Gründer des Seesenders Voice of Peace. LBC, der kommerzielle Lokalsender, war am schnellsten und brachte bereits um 18.20 Uhr Ortszeit ein Interview mit Abie.

"Wir senden für ein Gebiet, in dem über 30 Millionen Menschen wohnen", sagte Abie Nathan in dem Interview auf LBC. "Dabei erreichen wir fast ganz Ägypten und erhalten Zuschriften aus dem Sudan, Jordanien, Damaskus, dem Libanon, aus ganz Israel und Zypern. Wir senden rund um die Uhr ein Musikprogramm. Zu bestimmten Zeiten laufen besondere Titel, die sich gegen Krieg und Gewalt aussprechen und sich für den Frieden einsetzen. Die Musik ist größtenteils westlich. Die meisten Discjockeys sprechen Englisch und viele von ihnen kommen aus diesem Land. Wir haben eine große Zahl von freiwilligen Mitarbeitern aus Australien, Neuseeland, den Vereinigten Staaten, Frankreich, Holland, praktisch von überall her, die jeweils für einen Zeitraum von drei Monaten zu uns kommen. Dann strahlen wir auch spezielle Sendungen auf Hebräisch und Arabisch aufs. Ich komme gerade aus Guatemala, wo die Voice of Peace einen Betrag von 60.000 Dollar eingesetzt hat, um den Aufbau der [vom Erdbeben] zerstörten Dörfer zu unterstützen. Dieses Geld stammt von den Werbeschaltungen auf dem Radiosender. Wir sind in dieser Hinsicht gerade sehr erfolgreich beim Werbeverkauf und haben eine große Zahl von Kunden. Früher versuchten wir, Spendengelder für den Sendebetrieb zu sammeln, doch es ist wohl so, dass viele Leute im Mittleren Osten selbst Empfänger von finanzieller Unterstützung sind und unser Projekt nicht finanzieren wollten."

Abi in GuatemalaAbie Nathan fuhr fort: "Derzeit führen wir monatlich zwischen 15.000 und 20.000 Dollar an verschiedene Krankenhäuser ab - sowohl an arabische als auch jüdische sowie an solche auf Zypern. Für das restliche Geld gilt: Wo auch immer auf der Welt eine Sache ist, die man unterstützen sollte, da ist die Voice of Peace. Im Moment helfen uns dabei lediglich die Werbegelder aus Israel. Wir möchten aber hier in London Werbekunden aus der arabischen Welt finden, die ihre Produkte nach Ägypten und Israel verkaufen. Es gibt solche Firmen, und wir werden sie finden."

Schließlich äußerte sich Abie über die Situation im Sendegebiet: "Denken Sie an den Mittleren Osten und stellen sich die Frage: Wer hat eigentlich etwas erreicht - die Regierungen, Kissinger, irgendjemand? Ich glaube, dass wir etwas erreichen, einfach weil wir nicht aufhören, sondern weiter senden. Wir werden weiterhin Menschen finden, die uns zuhören und nicht die anderen Stationen verfolgen. In der Region sprechen alle sehr selbstgefällig über sich. Wir versuchen, die beiden Seiten zusammen zu bringen. Wir glauben, dass wir auf dem richtigen Weg sind, und der Erfolg wird sein, dass wir nicht aufhören werden, Radio zu machen. Jetzt, in diesem Moment, haben die Amerikaner und die Russen hunderte von Schiffen mit allerlei Cargo in der Region. Aber ein Schiff wie unseres, das 30 Millionen Menschen erreichen kann und über Hoffnungen und Möglichkeiten, wie man zusammen kommen kann, spricht ... ich glaube, wir haben das Recht auch dort zu sein. Erst wenn all die anderen Schiffe mit ihren Gewehren die Gegend verlassen, dann werden wir vielleicht auch gehen."

Während der gut 20 Jahre, in denen die Voice of Peace sendete, haben eine ganze Reihe von DJs ihre Tagebücher zur Veröffentlichung an das "Monitor Magazine" geschickt, so dass die interessierten Leser in Westeuropa nachvollziehen konnten, was auf dem einstigen Seesender, der im Mittleren Osten vor Anker lag, passierte. Aufgrund meiner langjährigen Mitarbeit beim "Monitor Magazine" erhielt ich die Erlaubnis, einige Abschnitte aus diesen Tagebüchern abzudrucken. Also, lassen Sie uns nachschauen, was der inzwischen verstorbene Crispian St.  John, ein ausgesprochen erfahrener Radiomann, der bereits für Radio 199, Radio Atlantis und Radio Nordsee International gearbeitet hatte, im September 1976 notierte. Als diese Zeilen entstanden, war Crispian gerade Programmdirektor der Voice of Peace und auf Urlaub in England:

"Tara Jeffries war da, als ich an Bord kam. Sie war beim United Biscuit Network. Alan King von UBN kam während einer Urlaubsreise und blieb etwa eine Woche lang. Er schlug vor, dass Tara für ein dreimonatiges, intensives Training vorbeischauen sollte. Die komplette Riege umfasst im Moment Gavin McCoy von Beacon Radio, Don Stevens, Phil Mitchell, der uns jedoch in ein paar Tagen verlassen wird, James Ross und Tom Hardy. Ich flog zurück und engagierte Phil und James. Ich hörte, dass Gavin gerade Beacon Radio verlassen hatte, und überprüfte gleich seine Einschaltquoten und andere Dinge; sie schienen dem zu entsprechen, was ich suchte. Heutzutage ist es sehr, sehr schwierig Mitarbeiter zu finden. Im Moment wollen wir Leute haben, die so erfahren wie möglich sind. Im Grunde fragen wir die: 'Wollt Ihr drei Monate lang bei ILR in diesem Land pausieren? Dann kommt zu uns!' Sie bekommen ein Gehalt, allerdings kein besonders hohes. Der Flug hin und zurück wird weiterin [von der Voice of Peace] übernommen und außerdem gibt es da eine Wohnung, in der sie sich der Einfachheit halber aufhalten können, wenn sie Landgang haben. Die Gehälter sind nicht fantastisch, aber es ist ausreichend, um eine Woche pro Monat an Land zu sein und Spaß zu haben. Normalerweise sind sie drei Wochen lang an Bord und haben dann eine Woche frei. Aber ich? Ich hatte in fast sechs Monate gerade einmal eine Woche frei. Ich musste einfach draußen bleiben, denn jedes Mal, wenn ich runter wollte, gab es eine Menge Arbeit. Das war sehr schwierig."

Crispian machte sich auch Gedanken über seinen Chef. "Ich verbrachte viel Zeit mit Abie, weil ich während der letzten paar Monate seine rechte Hand war. Zuerst jammerte er immer nur über alles mögliche - er wollte dies, er wollte jenes. Schließlich sagte er zu mir: 'Okay, Cris, es ist dein Sender. Du leitest ihn jetzt.' Damit war ich in den letzten Monaten für die Programmgestaltung allein verantwortlich und ich konnte die Aufgaben erledigen, die zu tun waren. Es ist keine einfache Aufgabe, ein solches Programm zu gestalten. Im Mittleren Osten existiert ein anderer Radiomarkt, die Hörer wollen völlig andere Sachen hören. Aber durch die Arbeit habe ich auch einige neue Ideen erhalten. Ich bin jetzt viel gefestigter, wenn es um Radioprogramme [in Großbritannien] geht. Man erkennt, dass es mehr als nur einen Markt gibt, an den man sich wenden kann.

Abie, Robin Banks, Jules RetrotAls ich dort ankam, liefen auf dem Sender alle möglichen Musikstile für jedemann. Mein Ansatz war aber zu sagen: 'Wir sind eine Adult-Music-Station, wir spielen Hits. Egal ob das ein alter Hit ist - ein guter Golden Oldie - oder eine brandneue Scheibe eines bekannten Künstlers. Hauptsache der Song hat eine Melodie, die ein Taxifahrer mitsummen kann.' Als wir die Programmpolitik umstellten und solche Songs spielten, im Gegensatz zu eher unbekannten Künstlern und Melodien wie zuvor, gingen die Hörerzahlen nach oben. Wir verkauften auch mehr Werbung, konnten also etwas vorweisen.

Ich ging also dort hin und tat, was ich angekündigt hatte: Ich machten den Sender populärer, sorgte für eine anständige Programmgestaltung und für höhere Quoten. Es gibt Dinge, die ich noch umsetzen möchte, doch das dauert wohl noch ein Jahr. Aber grundsätzlich habe ich meinen Job da draußen getan und ich habe erreicht, was ich erreichen wollte. Ich glaube, dass ich auch profitiert habe. Es war eine großartige Erfahrung, größer als alles andere, eine gute Leistung. Es war ein Erfolg, und das ist das wichtigste."

Crispians Tagebucheintragungen enthalten auch Gedanken über mögliche Entwicklungsschritte: "Robin Banks und ich haben uns nach einem Kurzwellensender umgeschaut. Bill war darüber nicht gerade glücklich. Seine Meinung dazu ist: 'Naja, ich glaube, den könnten wir noch in eine Ecke des Raumes packen. Da würde er nicht soviel Platz wegnehmen.' Der echte Killer ist allerdings das Fernsehprojekt. Ich bin total dagegen und habe Abie immer wieder gesagt: 'Wenn du das tust, bist du innerhalb weniger Tage aus dem Äther.' Die Regierungen haben Angst vor dem Fernsehen. Gut, man kann da Geld verdienen. Aber würde sich ein TV-Dienst lohnen, wenn einen die Probleme, die damit verbunden sind, innerhalb einer Woche verstummen lassen könnten? Wenn dieses TV-Ding wirklich umgesetzt wird, sind wir am Ende. Ich glaube, das habe ich Abie deutliche machen können.

Ansonsten ist es viel zu heiß da draußen, zwischen 28 und 33 Grad Celsius, aber glücklicherweise haben wir auf dem gesamten Schiff eine Klimaanlage. Die Reise hierher war ein echter Schlauch. Ich musste über Paris reisen und hatte so viele Schwierigkeiten mit der Fluglinie, so dass ich am Ende sehr verstimmt war. Die Leute bei El AL hatten diese unverbindliche Haltung zu allem; es war gar nicht typisch für die Airline. Ich kam an am späten Mittwochabend und hatte bis heute ein paar volle Tage."

Wie bei jeder Organisation, so waren auch bei diesem Radiosender (ehemalige) Kollegen nicht immer wohl gelitten. Man sieht dies an den Anmerkungen über einen früheren DJ, die Crispian St. John am Ende dieses Teils seines Tagebuches stellte: "Die Station hat sich von Keith Ashton vollständig getrennt und das hat nichts mit seinen Aktivitäten zu tun. Die Station akzeptiert nicht, dass er dieses Tonband verkauft, denn es handelt sich um ein Band unseres Verkaufsteams, das kostenlos an die Agenturen in London verschickt wird. Es wird an alle potenziellen Kunden gegeben mit der Botschaft 'Das ist die Voice of Peace'. Ich kann eine gute Sache [über Keith] sagen: Er weiß, wie man Radiowerbung verkauft. Aber wenn er erst einmal anfängt, Geld zu verdienen, hat er die Angewohnheit, zur Konkurrenz zu gehen und das gleiche zu tun. Es ist echt verrückt.

Übersetzung ins Deutsche: Thomas Völkner

Aus RADIOJournal 7/2009