Die Voice of Peace
Eine Artikelserie von Hans Knot
Themen-Special der Redaktion RADIOJournal

Die Voice of Peace (Teil 08)
So viele Erinnerungen...

von Hans Knot

Im Oktober 1973 wütete ein Krieg im Mittleren Osten. Israel stand auf der einen Seite, Ägypten und Syrien auf der anderen, wobei letztere vom Irak und Jordanien unterstützt und von Saudi Arabien finanziert wurden. Der Krieg brach am 6. Oktober aus. Er dauerte an der syrischen Front bis zum 22. Oktober, an der ägyptischen bis zum 26. Oktober. Die Ereignisse dieses Monats markierten einen Wendepunkt in der Region: Zum ersten Mal wurde deutlich, dass Israel verwundbar war. Die arabischen Staaten, besonders die Kriegsgegner Syrien und Ägypten, bewiesen ihre neu erworbene Stärke, sowohl in militärischer, als auch in organisatorischer Hinsicht. Hinzu kam, dass Israel Land verlor, auch wenn es sich dabei nur um Gebiete handelte, die man seit dem Sechstagekrieg besetzt gehalten hatte.

Der Krieg im Herbst 1973 wird nach dem höchsten jüdischen Feiertag, dem Versöhnungstag Jom Kippur, benannt. Parallel dazu fand in jenem Jahr auch der muslimische Fastenmonat Ramadan statt. Beiden religiösen Feiertagen ist gemein, dass Feindseligkeiten eigentlich verboten sind. Weder die israelischen Geheimdienste noch die Regierung des Landes hielten demzufolge einen feindlichen Angriff zu diesem Zeitpunkt für möglich - ein wahrlich seltener Moment von Unaufmerksamkeit auf israelischer Seite.

Ägypten und Syrien nutzten diese Schläfrigkeit zu einem Überraschungsangriff. Ihr Ziel war, die arabischen Gebiet, die in den Kriegen von 1947 bis 1949, 1956 und besonders im Sechstagekrieg 1967 verloren worden waren, zurück zu erobern. Nach diesen vorangegangenen Kriegen hatte es keinerlei politische Fortschritte gegeben, weder in Bezug auf die Rückgabe der Gebiete, noch in Bezug auf den Status der großen Zahl palästinensicher Flüchtlinge. In der gesamten arabischen Welt herrschte eine tiefe Frustation, die zu einer extremen Stimmung und zu neuen politischen Orientierungen führte. Am Vorabend des Jom-Kippur-Krieges hielten die Araber eine militärische Auseinandersetzung mit Israel für absolut gerechtfertigt.

Die Gesamtkosten des Krieges wurden auf sieben Milliarden US-Dollar geschätzt, wobei ein Großteil der Kosten auf arabischer Seite von den Saudis getragen wurde. Die Voice of Peace spielte ebenfalls eine kleine Rolle in dem Konflikt. Stationsgründer und Friedensaktivist Abie Nathan verkündete den Soldaten auf beiden Seiten seine Ideen noch deutlicher als üblich. Er sagte beispielsweise, dass weder die israelische Premierministerin Golda Meir noch der ägyptische Präsident Sadat ums Leben kommen würden ... sondern die einfachen Soldaten: "Seid vernünftig, beendet den Krieg! Kämpft nicht mehr weiter, sondern geht nach Hause zu Euren Familien. Sie sind es, die Euch am meisten brauchen." Ob es den Soldaten gestattet war, die Sendungen des Friedensradios zu hören, ist natürlich eine andere Frage.

Sicher ist allerdings, dass die israelische Armeeführung den Befehl gab, die Ausstrahlungen des Senders aufzuzeichnen und auszuwerten. Am 7. Oktober erhielt das Friedensschiff, das in der Nähe des Suezkanals ankerte, Besuch von einem Kanonenboot der israelischen Marine. Die Soldaten gaben den Befehl, die Sendungen sofort zu beenden. Sollten die Radioleute sich dem Befehl widersetzen, würde das Schiff geentert und in einen Militärhafen geschleppt. Abie Nathan traf die einzig richtige Entscheidung. Er machte eine kurze Ansage on air, spielte den Song "Give Peace a Chance" und stellte den Betrieb ein - wenn auch nur für kurze Zeit.

Bereits einige Tage zuvor hatte Abie seiner Befürchtung Ausdruck gegeben, dass der Mittlere Osten am Rande eines neuen Krieges steht: "Der Krieg kann jeden Moment ausbrechen. Und weil wir spüren, dass er jeden Moment ausbrechen kann, verlegen wir unser Schiff an eine neue Position, an das obere Ende des Suezkanals. Wir werden versuchen, die Soldaten zu bitten, sie mögen nicht anfangen zu kämpfen."

Wenige Tage nach dem erzwungenen Stopp der Ausstrahlungen war die Voice of Peace wieder in der Luft. Man sendete jetzt von einem Ankerplatz in der Nähe der zypriotischen Stadt Famagusta. Das Friedensradio war zu diesem Zeitpunkt fast pleite, und Abie Nathan hatte wenig Vorstellungen von kommerziellem Radio. Er wies seine DJs an, in ihren Sendungen die Hörer um Geldspenden zu bitten. Abie stellte sich vor, dass auf diese Weise mindestens 75.000 US-Dollar zusammen kommen würden. Die tatsächlichen Zuwendungen lagen mit 1.000 Dollar weit unter seinen Erwartungen. Abies Kommentar: "Es kam vie zu wenig Geld rein. Es wurde deutlich, dass die Menschen diesen Krieg als ihren Krieg betrachteten und dass sie glaubten, es sei sinnvoller, das Geld für Waffenkäufe zu verwenden."

Vor Famagusta wurden zwei neue DJs eingestellt: Frans de Wolf und Keith Ashton. Letzterer hatte seinen gut bezahlten Job bei Capital Radio in London vorübergehend aufgegeben, um für die Voice of Peace zu arbeiten. Man konnte deutlich hören, dass Keith ein Freund von Offshore-Sendern war, da er unter anderem einen früheren Radio Caroline-Jingle von Andy Archer verwendete ("Give us a bang when you're ready!"). Außerdem war mehrfach die Stimme von Graham Gill in dem Jingle "Hello good people" zu hören, und es gab personalisierte Aufsager für Keith Asthton, die von seinem Capital-Kollegen Kenny Everett produziert worden waren.

Wenn ich mir heute einige Aufnahmen aus den Oktobertagen des Jahres 1973 anhöre, fällt mir auf, dass kein einziger DJ auf die militärischen Auseinandersetzungen im Mittleren Osten einging. Dies lag daran, dass Abie es ihnen explizit verboten hatte. Also sagten sie Dinge wie: "Liebe Hörer an den Stränden von Beirut, Tel Eviv, Zypern und in vielen anderen Orten! An einem solchen Tag möchte ich zu Euch sprechen und Euch begleiten, während Ihr in der Sonne liegt. Ich werde Euch jede halbe Stunde sagen, dass Ihr Euch auf die andere Seite legt, damit Ihr eine schöne braune Hautfarbe bekommt. Und bis es wieder soweit ist, gibt es Musik hier bei der Voice of Peace." Nur Abie Nathan durfte on air über Krieg und Frieden sprechen. "Ich war der einzige, der sich zur Situation äußerte. Wenn ich allen die Erlaubnis gebeben hätte, wäre es vielleicht sowie gekommen, dass unwissende DJs Griechenland mit Ägypten verwechseln." Andererseits wusste Abie natürlich, dass es auch in Kriegszeiten andere Dinge gab, die die Menschen interessierten. Also gab es in den Sendungen Ansagen wie diese: "Ihr schönen Ladys an den Stränden! Wir beobachten Euch durch unsere Fernstecher. Wir vermissen Euch sehr und hoffen, dass wir bald wieder an unserem üblichen Ankerplatz sein können." Kurze Zeit später trug Abie Nathan dem Kapitän der MV Peace auf, die Motoren zu starten und das Schiff in die Nähe der israelischen Küste zu steuern.

Viele Hörer dürften sich damals gefreut haben, ihren Lieblingssender wieder besser empfangen zu können als an den zurückliegenden Tagen. Umso enttäuschter waren sie bestimmt, als Abie etwas später am gleichen Tag die folgenden Ankündigung machte: "Im Hintergrund hört Ihr die Schiffsmotoren. Im Laufe des Nachmittags werden wir irgendwo zwischen Haifa und Beirut den Anker werfen. Dann werden wir wegen finanzieller Schwierigkeiten unsere Sendungen einstellen und uns um Unterstützung für das Friedensschiff kümmern."

Anfang November verstummte die Voice of Peace erneut. Nathan schickte den Kapitän in den Hafen von Aschdod. Es sollte lange dauern, ehe der Sender wieder aktiv werden konnte. Dazu bedurfte es der Hilfe von unerwarteter Seite.

Mitte Dezember 1973 hörte man in den Niederlanden wieder etwas von dem Friedensradio. Es hieß, das Schiff läge vor der Westküste Italiens, in der Nähe von Rom. Gerüchte besagten, einige DXer hätten den Sender auf der Mittelwellenfrequenz 1539 kHz empfangen. Dies wurde allerdings niemals von den Technikern der Voice of Peace bestätigt. Ende Dezember lief die MV Peace in den Hafen von Marseille ein. Das Schiff sollte dort sehr lange Zeit liegen... 

Übersetzung ins Deutsche: Thomas Völkner

Aus RADIOJournal 11/2008