Die Voice of Peace
Eine Artikelserie von Hans Knot
Themen-Special der Redaktion RADIOJournal

Die Voice of Peace (Teil 05)
Erinnerungen an New York

von Russell T. Dodworth

Ich werde langsam alt und erinnere mich nicht mehr so genau an Zahlen und Daten, aber ich war tatsächlich bei Abie Nathan in New York. Wir richteten am East River Pier, wo das Friedensschiff vor Anker lag, eine Dampfwinde zum Be- und Entladen der Ausrüstung ein und sicherten alles ab. Ich arbeitete damals im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, hauptsächlich für Solokünstler und Bands aus der gesamten Stadt. Deshalb konnte ich Abie Kontakte zu verschiedenen Künstlern vermitteln, die geradezu versessen waren, für uns aufzutreten. Durch diese Gigs und Kunstevents erhielten wir einiges an Aufmerksamkeit.

Nach den langen Abenden übernachtete ich häufig auf dem Friedensschiff - genauer in Abies Kabine, die im Grunde die Gute Stube des Schiffes darstellte. Wir waren natürlich per Telefon mit dem Festland verbunden. Als Abie bekannter wurde, meldeten sich immer mehr Leute, die ihm wiederum Kontakte zu anderen Leuten vermitteln wollten, die bei der Arbeit behilflich sein konnten. Auf diese Weise führten wir unsere Pressearbeit durch. Eines Nachts gegen zwei Uhr klingelte das Telefon. Ich nahm ab, und John Lennon war am anderen Ende der Leitung. Irgendwie hatte John von dem Friedensschiff Wind bekommen und von unseren ernsthaften Schwierigkeiten, nach New York zu gelangen, Gelder zu sammeln, die Sendetechnik zu erbetteln und installieren zu lassen. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber ich glaube, John Lennons Anruf kam genau zu der Zeit, in der er und Yoko Ono in einem piekfeinen Hotel in Amsterdam lagen und für den Frieden demonstrierten. Er muss von unserem Schiff gehört haben und wollte Abie sprechen.

Nun war Abie gerade nicht an Bord. Das hielt John aber nicht davon ab, seine Unterstützung zuzusagen und eine ganze Ladung Poster zu spenden, die ihn und Yoko im Hotelbett zeigten. Die Poster trafen tatsächlich innerhalb kurzer Zeit ein. Wir führten regelmäßig Kunstausstellungen und Auktionen im Commodore Hotel durch und nahmen Spenden, Kunstobjekte oder Dienstleistungen sehr gerne entgegen. "Ich werde Euch meinen Yellow Rolly Royce schenken", rief John Lennon aus. Ich entgegnete ihm, dass ich absolut verblüfft sei. Zwar saß Yoko Ono neben ihm, doch ich hörte keinen Einwand, kein Lachen bei dieser überraschenden Idee. "Ich möchte, dass Sie persönlich mit Abie sprechen", teilte ich John mit. "Er soll selbst die Erregung spüren." John gab mir seine private Telefonnummer, die ich stolz in mein Adressbuch eintrug.

Abie Nathan rief John Lennon zurück, wir erhielten die versprochenen Poster und dazu einen weiteren Packen, auf denen der Lennon'sche Rolls in schwarz-weiß zu sehen war. Das großzügige Angebot, das Fahrzeug zu versteigern, konnten wir nicht annehmen. Unsere Auktionen erzielten meistens kaum den Betrag, der für die Anmietung der Räumlichkeiten benötigt wurde. Einmal hätten wir ein Originalgemälde von Carot versteigern können, das sicherlich einige Zehntausend wert war, aber wir nahmen davon Abstand. Also überließ ich Abie die Entscheidung, was mit John Lennons Fahrzeug zu tun sei. Ganz bestimmt wäre es zu teuer, es in die Staaten zu transportieren.

Abie war besorgt, ein solcher Deal würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Immerhin konnten wir nicht absehen, wie lange wir noch am East River vertaut liegen würden. Wir planten, mit dem Friedensschiff den Hudson River hinauf zu fahren bis zur Bundesschleuse in Troy im Staat New York, von dort aus durch den New York State Barge Canal in die Großen Seen und dann bis hinüber nach Chicago, wo die Radiotechnik installiert werden sollte. Ich war der Ansicht, dass dieser Plan viel zu teuer kommen würde. Warum sollten wir das Equipment nicht einfach nach New York transportieren und alles vor Ort einbauen lassen? Ich schlief einmal über diesen Gedanken. Am nächsten Morgen unterbreitete ich Abie eine Idee: Wir könnten aus der Schiffsüberführung eine Publicity-Aktion machen. Entlang der Route würden Zeitungsartikel und Bildstrecken in allen erdenklichen Lokalblättern erscheinen. Meinem Plan zufolge sollten die Fans dann zur Kanalschleuse kommen, um das Friedensschiff zu begrüßen. Ehe das Schiff in Chicago einträfe, wäre das Interesse derart gestiegen, dass wir mit einer großen Radio- und TV-Berichterstattung rechnen könnten - und mit dem Interesse der überregionalen Zeitungen. Ich war dann sehr entmutigt, als mir Abie zu verstehen gab, dass er nicht interessiert sei.

Einige Zeit später sollten die Antennenmasten montiert werden. Ich meinte, es sei besser, zuerst den Atlantik zu überqueren und die Montagearbeiten anschließend in einem Mittelmeerhafen vorzunehmen. Einige Wochen gingen ins Land, ehe ich herausfand, dass Abie einen riesigen Drehkran mit dazugehörigem Kettenfahrzeug angefordert hatte. Nun, eigentlich war ich der allerletzte, der davon erfuhr. Während meines Wachdienstes sah ich eines Morgens dieses immens große Industriefahrzeug eintreffen. Es fuhr langsam über eine steinerne Bogenbrücke, die den Franklin Roosevelt Drive (bekannter als "East River Drive") überspannte. Der mammutartige Apparat schaffte es unfallfrei über die Brücke und die Arbeiter begannen mit der Installation des Auslegers. Mittlerweile hatte die morgendliche Rushour vollends eingesetzt ... und die Polizei schaute vorbei.

Offenbar lag keine Genehmigung für den Kran vor. In Windeseile notierte ich die Tonnage und das Kennzeichen, stoppte ein Taxi und machte mich auf den Weg zum städtischen Bauamt. Der Amtsvorsteher, ein Ingenieur, war ein ausgesprochen freundlicher Herr. Ich gab ihm eine kleine Pressemappe mit Informationen über die Ziele unseres Friedensschiffs. Während er die Infos fasziniert durchblätterte, bewunderte ich seinen Schreibtisch, hinter dem er thronte. Der Ingenieur bemerkte meinen erstaunten Blick und rückte mit den Einzelheiten heraus: "Dieser Schreibtisch gehörte dem bekannten General Pershing aus dem Ersten Weltkrieg." Nichtsdestotrotz könne er nicht gestatten, dass der Lastkran über die Brücke zurückfährt - das Gewicht sei deutlich jenseits der Höchstgrenze. Voller Mitgefühl schlug er vor, "er müsse übers Meer abrücken, an Bord eines Kahns." Ganz Publicity-Mann, der ich war, stellte ich mir vor, wie sich Kapital aus dieser Enttäuschung schlagen ließe. Ich kannte verschiedene Leute, die in den Bildredaktionen der New Yorker Zeitungen arbeiteten, und stellte mir vor, außerdem die diensthabenden Redakteure bei den Fernsehstationen zu alarmieren - alles mit dem Ziel, das Problem in einen Publicity-Sieg umzumünzen. Ich kontaktierte Dr. Larry Birns, ein Mitglied unseres Beraterstabs, und er brachte mich in seiner überaus erwachsenen Art wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

Kurz nach diesem Zwischenfall verließ ich den East River Pier und kehrte in mein Büro in der 58. Straße zurück. Ich war ziemlich erschöpft. Aber gleichzeitig war mir bewusst, wie sehr die Künstler, die ich vertrat, es genossen, an Bord des Friedensschiffes aufzutreten - zum Beispiel die berühmte Gruppe Bergerfolk oder Irene Cara. Einige meiner liebsten Erinnerungen hängen mit dem Peace Ship zusammen. Mit Larry Birns verbindet mich bis heute eine enge Freundschaft. Larry gründete später das Committee On Hemispheric Affairs (C.O.H.A.), das mehrere Staaten aus dem Karibikraum und Südamerika vertrat.

Larry, ich, wir alle liebten Abie Nathans feinsinnigen Humor. Und Abie genoss die Anwesenheit der vielen schönen Mädchen, die an den Sonntagnachmittagen das Schiff umschwirrten. An der Tür zum Aufenthaltsraum des Schiffes konnte ich eines Tages ganz ernsthaft mit ihm sprechen. Ich hatte seine volle Aufmerksamkeit, aber nach ein paar Minuten stellte ich fest, dass sein Blick über meine Schulter hinweg ging. Ganz sicher betrachtete er ein Girl, das gerade an der Kaimauer angekommen war. "Abie", unterbrach ich ihn. "Wie buchstabierst du P-E-A-C-E? Ich glaube, gerade jetzt denkst du an den Begriff P-I-E-C-E..."

Ein weiterer guter Freund war Patrick Dean, ein Ire. Er arbeitete als diensthabender Ingenieur im weltbekannten Woolworth Building, das einmal zu den höchsten Gebäuden von New York zählte. Pat kümmerte sich als Freiwilliger viele Stunden um die Dampfwinde am Pier. Er wohnte in Woodside im Stadtteil Queens. Ich würde ihn sehr gerne einmal wiedersehen. Leider sind im Telefonbuch von Queens viel zu viele Personen unter "P. Dean" zu finden.

Wie so viele von uns, halte ich die Zeit des Einsatzes für das Friedensschiff und den faszinierenden Abie Nathan in gutem Andenken. Es ist wundervoll zu sehen, dass die Geschichte des Peace Ship hier ausgebreitet wird - bis hin zu seinem Ende in den Tiefen des Meeres. Ich wünsche dir Frieden, Brother Abie! Du warst voller Anziehungskraft und lebtest ganz und gar für deine Mission, auch wenn dich das in so manche schwierige Situation brachte. Und was am wichtigsten ist: Am Ende konntest du deinen großen Traum sogar verwirklichen! 

Übersetzung ins Deutsche: Thomas Völkner

Aus RADIOJournal 4/2008