Die Voice of Peace
Eine Artikelserie von Hans Knot
Themen-Special der Redaktion RADIOJournal

Die Voice of Peace (Teil 06)
Abie Nathan und die Friedensarbeit - Erster Teil

von Hans Knot

Die Gruppierung "Israeli Forum for International Human Aid" erstellte eine Liste der wichtigsten Aktivitäten, die Abie über die Jahre für Menschen in aller Welt durchführte. Ich möchte diese Dinge nicht allesamt aufführen, sondern eine Auswahl vornehmen und bei einzelnen Punkten näher ins Detail gehen. Viele andere Aktivitäten wurden in den ersten Folgen dieser Artikelserie bereits erwähnt oder sollen im weiteren Verlauf benannt werden.

Im Juli 1969 unternahm Abie Nathan die erste von insgesamt fünf Reisen nach Biafra, eine Region in Westafrika, in der ein Bürgerkrieg tobte. Während der folgenden acht Monate sammelte er in Israel und in den jüdischen Gemeinden in aller Welt Verpflegung und und medizinische Versorgungsgüter im Wert von 1,5 Millionen US-Dollar für die Menschen in Biafra. Er selbst steuerte ein Flugzeug voller Medikamente und Ausrüstung nach Afrika und sorgte für die Verteilung der Güter in die Flüchtlingslager und Hospitäler.

Im Dezember 1972 reiste Abie Nathan nach Managua, die Hauptstadt von Nicaragua, und half dort bei der Ausgabe von Verpflegung an 15.000 Erdbebenopfer. Darüber hinaus gab er Geld für den Wiederaufbau eines kleinen Dorfes. Über 33 Jahre später erreichte mich aus den USA die folgende bemerkenswerte Geschichte über Abies Zeit in Managua. Theo Kuster schrieb: "Meine Frau und ich waren als Missionare in Managua, Nicaragua. Am Tag des großen Erdbebens besuchten wir Verwandte in Ashland, Wisconsin. Als wir am Morgen des 24. Dezember 1972 auf dem Weg nach Madison waren, von wo wir im Laufe der Woche unseren Flug nach Nicaragua antreten wollten, hörten wir im Radio: Ein Erdbeben in Managua! Auf der sechsstündigen Fahrt wurden die Meldungen von Stunde zu Stunde schrecklicher, und als wir in Madison ankamen, war uns klar, dass wir nicht direkt nach Managua würden reisen können. Das gesamte Stadtzentrum war von dem starken Beben dem Erdboden gleich gemacht worden.

Vier Tage nach dem Erdbeben erreichte ich Managua. Ich traf Abie Nathan in der Schlange beim Boarding des Fliegers in Miami. Er war ein Mann mit einer großen Summe Bargeld in der Tasche. Er wollte nach Managua, und zwar schnell, um den Menschen zu helfen. Er hatte dort aber keine Kontakte, kannte niemanden und sprach kein Spanisch. Ich sagte, ich sei auf dem Weg dorthin, hatte quasi kein Geld, dafür aber eine Menge Beziehungen und sprach Spanisch. Wir gingen an Bord, setzten uns nebeneinander ... und arbeiteten in den folgenden zwei Wochen Hand in Hand.

Mit seinem Geld und meinen Verbindungen fanden wir im Transportministerium von Nicaragua einen LKW samt Fahrer. Am nächsten Tag kauften Abie und meine Kinder in den Lagerhäusern der Regierung Truckladungen voller Reis und Bohnen. Dann transportierte Abie den Truck nachts auf ländlichen Nebenstraßen, damit die Güter nicht vom Militär konfisziert werden konnten. Am Morgen übergab er die Ladung an einem vorher festgelegten Ort an die Bevölkerung. Die Menschen saßen dort in zwei langen Reihen. Meine Jungen luden alle 30 Meter einen Sack Reis aus, während Abie jeweils das Signal dazu gab. So wurde eine große Menschenmenge innerhalb weniger Minuten friedlich und würdevoll 'beliefert'. Genau auf diese Weise setzten wir unsere Aktion Tag für Tag fort, bis uns das Geld ausgegangen war. Abie Nathan war einer der mitfühlendsten, geduldigsten und wahrhaftigsten Personen, die ich je gekannt habe", erinnert sich Theo Kuster.

Im Jahre 1976 startete Abie Nathan eine weitere Aktion. Ein starkes Erdbeben hatte Guatemala getroffen, sodass Abie mit einem großen Team von israelischen Helfern sechs Monate lang nach Mittelamerika ging. Mit Unterstützung der örtlichen jüdischen Gemeinde von Sanarate half er, mehrere Hundert Gebäude wieder aufzubauen. Aus seinem persönlichen Besitz gab er den Betrag von 60.000 US-Dollar für dieses Projekt.

Am 27. Juni 1972 wurde ein Airbus der Gesellschaft Air France auf dem Flug von Athen nach Paris entführt und nach einem langen Irrflug nach Entebbe in Uganda gebracht. Was folgte, war eine lange Zeit des Wartens. Abie Nathan war eine der Personen, die sich einschalteten. Robin Banks erinnert sich: "Abie war auf dem Sendeschiff, als uns die Nachricht [von der Entführung] erreichte. Keine zwei Stunden später teilte er uns mit, er würde sich auf den Weg machen, um zu helfen und alles zu tun, um die Geiseln frei zu bekommen." In seinem Buch "90 Minutes at Entebbe" führt der Autor William Stevenson den Namen Abie Nathan tatsächlich mehrfach auf. Allerdings wird seine Rolle anders beschrieben, als es Abie nach seiner Rückkehr selbst darstellte. Mitarbeiter der Vereinten Nationen, die ebenfalls beteiligt waren, meinten später, Abie habe sich im Vergleich zu seiner tatsächlichen Rolle zu viel Publicity verschafft.

Erwähnen möchte ich, dass Abie Nathan eine Massen-Demonstration mit Kindern organisierte, auf der ein "Krieg" gegen Kriegsspielzeug erklärt wurde. Das alles fand im August 1977 statt. Tausende von Kindern brachten ihr Spielzeug auf den großen Platz im Stadtzentrum von Tel Aviv, wo es zerstört wurde. Als Ersatz erhielten alle Kinder pädagogisch wertvolle Spielsachen, die ihre Kreativität fördern würden. Es folgte eine Art "Beisetzungs-Prozession" zum Unabhängigkeitsplatz von Tel Aviv, wo das Kriegsspielzeug begraben wurde. Bilder dieser Veranstaltung, von einer großen Zahl Fernsehkameras eingefangen, gingen um die Welt.

Abertausende von Menschen in Vietnam sahen für sich keine Zukunft mehr in ihrem Land. Sie organisierten sich Boote - sofern man in vielen Fällen überhaupt von einem "Boot" sprechen konnte - und flohen. Viele von ihnen wurden von Schiffen aufgegriffen, gerettet und in Flüchtlingscamps in Asien gebracht. Von dort wurden die Menschen in verschiedene Länder gebracht, um ein neues Leben zu beginnen. Manche Länder, wie etwa die DDR, nahmen dabei mehr Flüchtlinge auf als andere. Auch Abie Nathan beteiligte sich an den Hilfsaktionen: Anfang 1979 half er, die ersten 100 vietnamesischen Boatpeople nach Israel zu bringen. Um dies zu ermöglichen hatte er einen Appell an die Bevölkerung und die Regierung des Staates Israel initiiert.

Abie reiste im weiteren Verlauf des Jahres zurück nach Ostasien, besuchte ein riesiges Flüchtlingslager an der Grenze zwischen Thailand und Kambodscha und zeigte den Fernsehzuschauern in seiner Heimat die dramatische Lage der kranken und verhungernden Flüchtlingskinder. Daraufhin meldeten sich Freiwillige in Israel und gingen, mit Unterstützung der Regierung, auf eine sechsmonatige medizinische Hilfsaktion ins Lager von Sakeo an der kambodschanischen Grenze. Die Medizinerteams behandelten die Kriegsverletzungen von Tausenden, halfen bei Malaria und anderen Infektionserkrankungen. Abie sammelte derweil in Israel annähernd 1,5 Millionen US-Dollar. Später machte er sich auf den Weg nach Sakeo, lieferte medizinische Ausrüstungsgegenstände und half bei der Verbesserung der sanitären Situation im Lager.

Übersetzung ins Deutsche: Thomas Völkner

Aus RADIOJournal 5/2008