Die Voice of Peace
Eine Artikelserie von Hans Knot
Themen-Special der Redaktion RADIOJournal

Die Voice of Peace (Teil 04)
Die einzige Stadt, in der man ein billiges,
aber wirklich gutes Küstenschiff bekommt

von Hans Knot

Ich war noch nicht ganz zwanzig. Meine Freunde und ich hören Offshore-Sender wie Radio London, Radio Caroline, Swinging England und andere mehr. In meiner Heimatstadt Groningen gab es bereits einige passionierte Hörer dieser Seesender. Einer hatte schon 1966 auf die Mauer eines Schuppens in der Gorechtkade "Radio London on 266" gepinselt. Bis heute sehe ich einmal im Jahr nach, ob der Schuppen noch da ist. Vielleicht 350 Meter davon entfernt kommt man zum Oosterhamrikkanaal. In den späten 1960ern waren dort zwei Schiffe vertäut: Die MV Zeevart und die MV Cito. Beide standen zum Verkauf, sie warteten auf neue Eigentümer und eine bessere Zukunft. Meine Freunde und ich waren oft dort und fanden viele Dinge zum Zeitvertreib.

Ob Sie es glauben oder nicht: Das zuerst genannte Schiff sollte von der International Broadcasters Society zu einem Radioschiff für Capital Radio umgebaut und als MV King David bekannt werden. Aus dem zweiten wurde im Jahre 1969 die MV Peace.

Nachdem Abie Nathan beschlossen hatte, die MV Cito zu erwerben, kündigte er am 12. Juni 1969 in der Lokalpresse an, er wolle gemeinsam mit der neuen Mannschaft nach Amsterdam fahren, wo das Schiff einen neuen Anstrich in den Friedensfarben erhalten würde. Die Fahrt sollte im Hafen von Groningen starten und über die Kanäle zum Hafen von Delfzijl führen. Weiter ginge es übers Wattenmeer und einen Teil der Nordsee zum Hafen von Ijmuiden; von dort über den Noordzeekanaal nach Amsterdam.

Die MV Cito war ein Motorboot der sogenannten Wechseldeckschiff-Klasse, das in der Vergangenheit mit einer Besatzung von sechs Mann unterwegs war. Es gehörte der Firma Paap aus Haren, einem Dorf nahe Groningen. Die Firmeneigentümer H. Paap und W.J. van Wijk unterzeichneten mit Abie Nathan einen Vertrag über den Verkauf des Schiffes an die Stiftung "Peace Foundation". Der Kaufpreis betrug 45.000 Gulden; 10.000 Gulden waren dabei sofort fällig. Für die restliche Summe wurde ein Zahlungsziel von 45 Tagen vereinbart. Sollte sie nicht aufgebracht werden können, waren sowohl die Cito als auch die Anzahlung verloren.

Das Schiff war zu Beginn des Jahres 1940 gebaut und als MV Rolf in Dienst genommen worden. Es war als Nummer 914 in der Werft der Gebroerders Van Diepen in Waterhuizen gebaut worden und konnte als letztes Schiff vor der deutschen Invasion den Hafen von Delfziji verlassen. Die Länge betrug 59,9 Meter, die Breite 8,49 Meter und der Tiefgang 2,40 Meter. Der 400-Tonner konnte seinerzeit 38 Tonnen Treibstoff mit sich führen und kam auf eine Geschwindigkeit von elf Knoten in der Stunde. Der Motor war ein sechszylindriger Viertakter von Klöckner-Humboldt Deutz.

Im Jahr 1950 wurde das Schiff in MV Westpolder umbenannt. 1954 brachte man es in die Werft zurück, wo einige Anpassungen im Bereich der Brücke vorgenommen wurden. Danach fuhr es in europäischen Gewässern, nach Madeira und in die Länder rund ums Mittelmeer. Erst 1960 erhielt es seinen neuen Namen: MV Cito.

Nach Ankunft im Hafen von Amsterdam am 13. Juni bekam man einen Ankerplatz am "Steenen Hoofd" zugewiesen. Viele Freiwillige, zumeist junge Leute, strichen das Schiff in Weiß und schrieben mit schwarzer Farbe das Wort "Peace" darauf - auf Englisch, Niederländisch, Französisch, Hebräisch und Arabisch. Abie erzählte seinen Helfern, er müsse weitere 200.000 US-Dollar aufbringen, um eine Radioausrüstung einbauen lassen zu können. Die Heuer für die Mannschaft würde von einer religiösen Organisation in den Vereinigten Staaten aufgebracht werden, die Abie eine jährliche Zahlung von 250.000 Dollar zugesagt hatte. Einem Vertreter der Presse gegenüber sagte er, er habe bereits einen Vertrag abgeschlossen. Als Gegenleistung für den hohen Geldbetrag würden jeden Tag Lesungen aus dem Neuen Testament ausgestrahlt werden. Abie weiter: "Beim Unterschreiben sagte ich, dass ich auch Lesungen aus dem Alten Testament und aus dem Koran auf den Sender nehme, wenn ich die Gelegenheit erhalte. Sobald das Schiff fertig ist, segeln wir nach New York. Wenn dann die technischen Einrichtungen eingebaut sind, geht es nach Israel, wo wir zwölf Meilen in internationalen Gewässern die Botschaft des Friedens ausstrahlen werden, gemischt mit arabischer und hebräischer Musik. Die Beiträge werden hauptsächlich in vier Sprachen verfasst sein, unter anderem in Englisch und Französisch.

Bereits 1969 nannte Abie den Namen Tony Allan als wichtigsten Discjockey für seine Radiostation. Es sollte aber noch über vier Jahre dauern, ehe Tony auf der Voice of Peace zu hören war.

Ende Juni beschloss ich, mich mit Jaap Stengs in Verbindung zu setzen, dem Sprecher der Peace Foundation in Amsterdam. Er meinte, das Schiff sei zum Oostelijke Handelskade hinter dem "America"-Speicher umgezogen. Ich brauchte rund drei Stunden, um vom Bahnhof Groningen aus nach Amsterdam und dort zu Fuß zum Anlegeplatz zu gelangen. Als ich ankam, war der verantwortliche Kapitän Van Wijk gerade mit einer Gruppe von Freiwilligen dabei, das Schiff anzustreichen. Eine andere Gruppe Helfer sammelte Spenden, und es bestand auch die Möglichkeit, Anteile an der Peace Foundation zu erwerben. Zu diesem Zweck war das Girokonto Nummer 99912 unter der Bezeichnung "Vredesschip Nederland" eingerichtet worden. In fast allen großen Tageszeitungen war eine Anzeige mit dem Bild des Schiffes erschienen. Die Menschen in den Niederlanden wurden aufgerufen, zu spenden und Anteile an der Stiftung zu kaufen. Der Slogan lautete "Nu is het Uw beurt" ("Jetzt sind Sie an der Reihe").

In den letzten Junitagen 1969 trat Abie oft in holländischen Zeitungen, im Radio und im Fernsehen in Erscheinung. "Ich bin wirklich zufrieden, dass die Holländer Geld geben und mit großem Enthusiasmus beim Streichen helfen, ohne dafür bezahlt zu werden", sagte er etwa. "Gestern kam ein alter Mann an Deck und meinte, er habe zwar kein Geld, wolle aber sehr gerne ein paar Stunden bei der Arbeit helfen. Am Ende war ich sehr überrascht, als er mir noch zehn Gulden gab."

Trotz dieser positiven Aussage behauptete Abie Nathan einige Tage später, er sei mit der erhaltenen Publicity gar nicht zufrieden: "Ich sprach mit mehreren Zeitungsherausgebern und erläuterte die Pläne für den Friedenssender. Darauf versprachen sie alle, uns eine ganzseitige Anzeige zu geben. Nur habe ich bislang überhaupt keine Anzeige gesehen. Wenn nichts mehr passiert, muss ich alle Pläne stoppen. In New York sind die Sender bereits eingetroffen und ich habe mit einem großen Fernsehsender eine Riesen-Publicity vereinbart, wenn die Sender an Bord gebracht werden. Einen Platz am Kai von New York, wo wir lange anlegen können, habe ich auch schon. Aber wenn wir nicht genug Geld bekommen, muss ich alles absagen. Es ist jetzt an der Zeit, dass ein, zwei große Firmen in Holland vorbeischauen und Geld für die Sache des Friedens geben."

In Holland existiert eine Organisation mit dem Namen "De wilde ganzen" ("Die Wildgänse"), die von mehreren religiösen Parteien aufgebaut wurde mit dem Ziel, Geld für verschiedene wohltätige Zwecke zu sammeln. Hierfür stand ihnen sogar Werbezeit in Radio und Fernsehen zur Verfügung. Abie hatte Glück. Die Wildgänse warben eine ganze Woche lang für das Projekt des Friedensschiffes. Professor Rölling von der Universität Groningen sprach in einem IKON-Radioprogramm über Abie Nathans Projekt. Es sei ein faszinierender neuer Versuch, Frieden in den Nahen Osten zu bringen. Rölling: "Ich glaube, dieser sympathische Mann benötigt jede Hilfe von den Einwohnern der Niederlande. Daher bitte ich Sie alle, Geld für das Friedensprojekt zu geben. Vielleicht muss Nathan eine Zeitlang ins Gefängnis. Aber lassen Sie uns beginnen ein bisschen für den Frieden zu spenden."

Am 25. Juni organisierte Abie ein kleines Friedensfest für die Leute, die ihm in den zurückliegenden Wochen geholfen hatten. Am Ende der Party stolperte er über eine Kiste, die er nicht gesehen hatte, und stürzte. Er wurde ins Krankenhaus "Onze Lieve Vrouwe Gasthuis" gebracht und musste dort etwa zehn Tage bleiben, weil er sich schwere Prellungen an der Hüfte zugezogen hatte. Am 10. Juli wurden 50.000 Gulden an die Besitzer der MV Cito gezahlt, worauf diese einlenkten und Abie etwas mehr Zeit zur Zahlung der Restsumme einräumten.

Eine besondere Studentenvereinigung plante auf dem Dam, dem Hauptplatz von Amsterdam, Geld zu sammeln und bat die Stadtverwaltung um Erlaubnis. Als jedoch am 8. August eine schriftliche Ablehnung eintraf, fand am darauffolgenden Tag eine Demonstration im Zentrum von Amsterdam statt. Zu dieser Zeit kam es in ganz Westeuropa zu vielen Demonstrationen, die oftmals mit Schlachten zwischen Demonstranten und der Polizei endeten. Die in Amsterdam am 9. August 1969 verlief absolut friedlich.

Einer von Abies Kontaktleuten in Holland war der Top-Radioproduzent Hans Zoet von der NOS, der viele Gemälde von bekannten israelischen Malern nach Holland schmuggelte. Abie hatte ihn darum gebeten. Auf einer der Schmugglerreisen wurde Hans durchsucht, und man fand ein Gemälde bei ihm. Allerdings hatte er eine gefälschte Quittung parat. Als der Beamte das Bild sah, konnte er kaum glauben, dass Hans dafür 60.000 Gulden bezahlt haben sollte, so dass er eine Zollgebühr erhob, die unter den 0,6 Prozent des Kaufpreises lag, die er eigentlich zu zahlen gehabt hätte. Parallel zur großen Demonstration fand in Amsterdam eine Auktion im Hotel Apollo statt, bei der 150 Kunstwerke den Besitzer wechselten. Die Veranstaltung brachte 25.000 Gulden für die Peace Foundation ein. Abie Nathan hatte am 29. Juli auf einer Pressekonferenz gesagt, die Auktion müsse rund 50.000 Gulden einbringen, damit er das Friedensschiff übernehmen und in See stechen könne. (Ein anderer Bericht aus der Presse nannte den abweichenden Betrag von 39.000 Gulden.) Die Gemälde, schwindelte Abie, seien Geschenke von Menschen in Israel. Darüber hinaus würde nur ein einziges richtiges Kunstwerk unter den Hammer kommen, eine persische Schnitzarbeit aus dem 12. Jahrhundert, die aus seinem eigenen Besitz stamme.

Nach 75 Tagen harter Arbeit und unzähligen Versuchen die Summe von 160.500 Gulden aufzubringen, kam der glückliche Tag am 12. August 1969: Abie erhielt die Schiffspapiere. Die Herren Paap und van Wijk aus Haren bei Groningen übergaben die MV Cito. Es wurde eine kleine Pressekonferenz durchgeführt, bei der Abie erstmals mitteilte, die Cito würde in MV Peace umbenannt. Darüber hinaus verkündete er, dass das Schiff in Panama registriert werden würde.

Gerade eine Woche später mussten sich die Helfer der vergangenen Wochen vom Friedensschiff verabschieden. In einem sehr offiziell anmutenden Moment tauften der katholische Bischof von Groningen, Möller, Imam Ah Akmal aus Den Haag, Vikar van Boeyen und Rabbi Soetendorp das Schiff gemeinsam und wünschten eine gute Reise nach New York und dann in den Mittleren Osten. An Bord war eine sechsköpfige Mannschaft unter Kapitän Oosterhout, der davon ausging, die MV innerhalb von 19 Tagen nach New York bringen zu können. Dann könne der Umbau zur schwimmenden Radiostation beginnen.

Während der kurzen Zeremonie dankte Bischof Möller Abie für sein vielfältiges Friedensengagement und für seine Initiative, ein Schiff zur Verkündigung des Friedens einzusetzen. Das Schiff selbst trüge die Botschaft bereits in fünf Sprachen, und Möller hoffte, dass Gott und Allah oder Jahwe, wie "Gott" von verschiedenen Religionen bezeichnet wird, die Crew für ihre Fahrt in Richtung "Frieden" segnen möge. Nachdem alle eingeladenen Personen das Deck verlassen hatten und wieder am Kai standen, wurde der Motor angelassen und die MV Peace machte sich auf die Reise in die Vereinigten Staaten. Dort sollte es noch einige Jahre dauern, ehe das Friedenprojekt verwirklicht werden konnte. 

Übersetzung ins Deutsche: Thomas Völkner

Aus RADIOJournal 2/2008