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Das Beste aus 20 Jahren RADIOJournal

Anrührende Geschichten aus der fiktiven Heimatstadt: Garrison Keillor und
»A Prairie Home Companion«

„It’s been a quiet week in Lake Wobegon, my hometown...” --- „Es war eine ruhige Woche in Lake Wobegon, meiner Heimatstadt...” Mit diesen Worten beginnt der groß gewachsene Mann jeden seiner Monologe. Er steht am Mikro und erzählt, etwas lautstark atmend, von den großen und kleinen Geschehnissen in seiner Stadt irgendwo im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten, Woche für Woche, unaufgeregt, treffsicher formulierend und nicht selten anrührend. Die Monologe, die bis zu 20 oder gar 25 Minuten lang sein können, sind Herzstück einer der erfolgreichsten und bekanntesten Radiosendungen in ganz Nordamerika namens »A Prairie Home Companion«, und ihr Autor und Vortragender, Garrison Keillor, so etwas wie eine Ikone des US-Hörfunks.

Die Sendung ist ein Phänomen, und ihre Existenz mutet in der durchgestylten und formatierten Radiolandschaft anachronistisch an. Da stellen sich besagter Garrison Keillor und eine wechselnde Gruppe Schauspieler, Radiosprecher und Musiker Woche für Woche zwei Stunden lang auf die Bühne eines Theaters, musizieren und singen, zumeist amerikanische Klassiker, Jazz, Blues, Gospel, manchmal mit umgetexteten Strophen, spielen kleine Sketche und erzählen vom Alltag in Lake Wobegon ... und heraus kommt eine Radiosendung, die seit über 25 Jahren läuft und zu den fünf meistgehörten Programmen in den USA zählt. Sprechen Sie Freunde oder Bekannte in den Staaten auf »A Prairie Home Companion« an, und sie werden - sofern radiobegeistert - wissend mit dem Kopf nicken. Die ruhige und gleichzeitig musikalisch wie erzählerisch mitreißende Show läuft jeden Samstag um sechs Uhr abends Ostküstenzeit über knapp 480 Stationen und versammelt im Durchschnitt 2,7 Millionen Hörerinnen und Hörer vor den Empfängern. Hinzu kommen zeitversetzte Ausstrahlungen über NPR, verschiedene AFN-Stationen sowie dank World Radio Network am Sonntag um die Mittagszeit für das Zielgebiet Europa über Satellit und in einigen Kabelnetzen.

Der Clou: Lake Wobegon existiert nicht, es ist Garrison Keillors Erfindung, ebenso wie seine Bewohner, ihre Erlebnisse ... und Firmen wie “Powdermilk Biscuits”, deren Werbespots in der Sendung vorgetragen und gesungen werden. Dennoch spiegelt sich vieles von Keillors Beziehung zu seiner Heimat und seine Ansichten über das Zusammenleben in den Radio-Monologen über Lake Wobegon. Dieses Nest, das irgendwo in Minnesota anzusiedeln ist, das aber Hörer an der Ostküste gleichermaßen fasziniert wie in den Südstaaten, Texas oder Kalifornien, scheint eine integrierende Kraft auszuüben. 

Als dem Radiomann im September 1999 eine Auszeichnung, die „Arts and Humanities Medal” überreicht wurde, äußerte sich Präsident Clinton über »A Prairie Home Companion«: “Mit Phantasie, Witz, aber auch mit scharfem Verstand und tiefer Überzeugung hat uns Garrison Keillor zusammen geführt. Seine Sendung schmettert immer durchs Weiße Haus.” Der so gelobte Keillor weist bescheiden jedwede integrierende Absicht weit von sich: Er habe von Anfang an Unterhaltung machen wollen und sei nur froh, dass sein Sender, das Minnesota Public Radio, in den Anfangsjahren zu arm war, um ihm eine Aufsichtsperson oder ein Autorenteam vor die Nase zu setzen.

Dabei würde ihm etwas weniger Bescheidenheit niemand übel nehmen: Zwar kann sich Garrison Keillor auf ein eingespieltes Produktionsteam verlassen und auf Künstler wie die „Guy’s All-Star Shoe Band” oder den Geräuschemacher Tom Keith, die in jeder Sendung auftreten. Dennoch ist »A Prairie Home Companion« seine Sendung, das Produkt seiner Vorstellungskraft, und es heisst, dass er 95 Prozent der Manuskripte selbst schreibt. Kritiker weisen darauf hin, dass dies in einer Zeit, in der Radio- und TV-Formate das Produkt von Autorenmannschaften sind und Skripte oftmals mehrfach umgeschrieben werden, sehr ungewöhnlich ist. Aber der Erfolg gibt dieser Produktionsweise Recht, und auch außerhalb des Hörfunks setzt sich dieser Erfolg fort. Garrison Keillor veröffentlichte bereits 1985 sein erstes Buch „Lake Wobegon Days”, das nur eine Woche nach seinem Erscheinen auf Platz 1 der Bestsellerliste der „New York Times” stand. Seither kamen ein knappes Dutzend weiterer Bücher auf den Markt. Eines davon, der Roman „Radio Romance”, die Geschichte des fiktiven Senders WLT aus der Frühzeit des US-Hörfunks, liegt auch in deutscher Sprache vor. Keillor schreibt regelmäßig Essays für das „Time”-Magazin und singt die Bass-Stimme im „Hopeful Gospel-Quartett.” 

»A Prairie Home Companion« ist fest verwurzelt mit der Stadt Saint Paul in Minnesota. Beim dortigen Public Radio moderierte Keillor Ende der 60er Jahre eine Sendung zur morgendlichen Primetime, die bereits den - von einem Friedhof in Moorhead, Minnesota, abgeleiteten (!) - Namen »Prairie Home Companion« trug. Die Legende weiß zu berichten, dass er während der Recherchen für einen Artikel über das Grand-Old-Opry-Theater in Nahsville die Idee hatte, eine Radiosendung mit musikalischen Gästen, Erzählungen und Werbung für imaginäre Produkte zu gestalten. Am 6. Juli 1974 ging diese Show erstmals in den Äther. Übertragen wurde sie aus dem Wallace Auditorium in Saint Paul vor zwölf Zuschauern. Die Einnahmen an der Theaterkasse betrugen ganze acht Dollar. Aber »A Prairie Home Companion« wurde zum Hit. Seit 1978 hat man mit dem Fitzgerald Theater in Saint Paul eine feste Heimat, und jährliche Tourneen führen die Sendung durch die ganzen USA. Aus privaten Gründen beendete Garrison Keillor 1987 vorläufig seine erfolgreiche Show und zog für ein knappes Jahr nach Dänemark. Von dort ging er nach New York City, wo er das gleiche Radioformat zwischen 1989 und 1993 als „The American Radio Company” produzierte. 1993 erfolgte die Rückkehr der Sendung nach Saint Paul und der erneute Namenswechsel zu „A Prairie Home Companion”. Er müsse den Dingen, über die er schreibt, nahe sein, sagte der Autor, Moderator, Geschichtenerzähler und Sänger zur Begründung.

Das Programm kommt nicht immer aus dem Studio in Minnesota, sondern tourt mit seinen Hörern durch verschiedene Städte. Neuerdings fährt Prairie Home Companion mit seinen Hörern auch auf einem Kreuzfahrtschiff durch die Karibik (Buchung übers Reisebüro). Die Sendung wird für Hörer in Europa seit eh und je über Satellit sonntags ab 11.00 Uhr von WRN Englisch Europe übertragen.

Thomas Völkner
Fotos: © MPR (Jason Bell / Cheryl Bellville / Fredric Petters)
www.prairiehome.org

Aus RADIOJournal 10/2000

• So muss Radio in den Vierzigern gewesen sein: „So toll sind wir noch nirgendwo aufgenommen worden!“ - Die ganze Mannschaft um Garrison Keillor war begeistert, von Berlin, vom Hotel „Adlon“, vom deutschen Publikum - und vor allem von der Zusammenarbeit mit den Radiokollegen des Südwestrundfunks, die gemeinsam mit dem Deutschlandradio Amerikas populärste Radioshow »A Prairie Home Companion« Anfang März 2001 zum ersten Mal nach Deutschland geholt hatten. Warum die Show in Amerika Kult-Status genießt, wurde den über 500 Besuchern im ausverkauften „Neuen Berliner Kabarett Theater - Die Wühlmäuse“ schnell klar. Sie bietet eine Mischung aus Witz, Nachdenklichkeit, Charme und Perfektion. Garrison Keillor, der aussieht wie Orson Welles, hat eine enorme Bühnenpräsenz. Er moderiert, unterhält sich mit seinen Gästen und erzählt - und wie er erzählt! So muss Radio in den Vierzigern gewesen sein, und so fasziniert es heute immer noch. Zwanglos passen sich die deutschen Gäste in das Keillor's Programm ein: Max Raabe singt auch Amerikanisches, die „Berlin Comedian Harmonists“ machen auch bei diversen Sketchen mit, Gayle Tufts - Amerikanerin in Deutschland - führt ihr „Dinglish“ vor und selbst die Gattin des „Adlon“-Direktors zeigt sich als ausgewiesenes Show-Talent. Keillor schreckt vor nichts zurück („Was passiert, wenn die Europäer amerikanisch sprechen? Sie senken damit ihr Niveau auf unseres - das amerikanische - herab“), aber er wechselt ständig den Ton. Auf Groteske folgt Melancholie. Dazu seine Band, verstärkt durch einen Klarinettisten, der noch mit Armstrong gespielt hat - man sieht's, aber vor allen Dingen hört man es! Das begeisterte Publikum fordert Zugaben. Keillor sagt, er gibt grundsätzlich keine und gibt sie dann doch.
(RADIOJournal 4/2001)