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Aufstehen, wenn die Sonne lacht -
Guten Morgen Berlin auf 88,8

Italienisch ist eigentlich nicht die Hauptmusikfarbe des SFB­Stadtradios, doch am Morgen stehen auch schon mal die peppigen Titel aus dem sonnigen Süden auf der Playlist. Ansonsten geht es musikalisch abwechslungsreich daher: Kultige deutsche Schlager aus den 70ern neben melodischen Pophits aus den 90ern, englischsprachige Oldies zum Mitsingen vor deutschem Softrock. Gerade läuft „Über 30” von PUR, als auch schon die Presseschau in Sichtweite rückt ­ für den nie um ein gekonnt gebautes Satzkonglomerat verlegenen Ingo Hoppe ein dankbares Thema für die nächste Moderation: „Stefan Lauchstädt und ich sind noch voll dabei zu plaudern ­ im Grunde haben wir gar keine Zeit für die Presseschau, aber die Pflicht ruft. Sie werden das nicht hören können, aber hier ist es deutlich zu vernehmen.” 

Die CDU-Spenden, die Berliner Opernreform sowie Schlagzeilen aus dem Bereich der Verbrechen - das sind die Aufmacher an diesem Freitag. Stefan Lauchstädt liebt authentisches Radio. Während er völlig manuskriptfrei fließend Topthema an Topthema reiht, raschelt er mit Zeitungspapier, das er zum Schluss allzu flott zur Seite legt und damit für Ingo Hoppe die nächste Überleitung bereitet: „Stefan, sei ein bisschen vorsichtig mit dem alten Geschirr, wenn du die Zeitung dahin knallst, es wird jeden Tag mehr, bin sehr gespannt, wann es mal jemandem auffällt, dass ein bisschen Wegräumen 'ne super Idee sein könnte - 6 Uhr 16, danke für diese Presseschau, hier ist Reinhard Fendrich und „Blond.” Und, wie sollte es bei Ingo Hoppe anders sein, danach wird der eben angerissene Bogen noch ein bisschen weitergespannt: „Stefan Lauchstädt wollte jetzt eigentlich einen Blondinenwitz erzählen, hat aber gesagt, er sei doch eher schüchtern, und bevor es jetzt wieder mit Stottern hier ausartet - 6 Uhr 18”. Wolfgang Petri singt „Du bist ein Wunder”, während sich draußen im Nachrichtenraum Peter Klinke auf den 88acht-Report vorbereitet. 

Immer um Halb produziert das SFB-Stadtradio eigene O-Ton-Nachrichten, während zur vollen Stunde die zentralen, wellenübergreifenden Meldungen gesendet werden. Klinke war früher beim Berliner Rundfunk und ist nun im Schichtdienst auch immer mal für die Morgenschiene zuständig. Heute hat er Christian Bremkamp an seiner Seite, der nach dem Studium bei 88acht hängengeblieben ist und am Montag erstmals den Report präsentieren soll. Neben der Spendenaffäre geht es um die Restaurierung des Brandenburger Tors, BSE-Risikomaterial und einen Taxiüberfall in Kreuzberg. Einen Musiktitel später sitzt Mieke Windmüller bei Ingo Hoppe im Studio, um als Meteofax-Wetterfee über den Trend der nächsten Tage Auskunft zu geben. „Kurz, knackig”, wie Hoppe befindet, ehe der „kleine Klassiker für Sie”, nämlich Jonny Cash „Ring of fire” startet. Danach kommt - vorproduziert am Vorabend - ein Bericht von Rainer Unruh über die Sperrung der Stadtautobahn am kommenden Wochenende. „Vicky Leandros - seit ich weiß gar nicht wie lange - 480 Jahren verheiratet”, wie Ingo Hoppe meint, leitet über zu den Kings, denn „Lola ist jetzt auch schon wach, freudig erregt, dass sie besungen wurde”.

 

Mittlerweile wird es gleich Sieben. „Jetzt muss ich mal tief durch die Schnupfennase atmen”, stellt Hoppe fest, ehe er noch eine Anekdote aus der Bild-Zeitung zum Besten gibt. „Ein ganz zartes Blau am Himmel haben wir schon hinbekommen”, doziert er nach den Nachrichten, wohl wissend, dass die nächste halbe Stunde zwei Themen bietet, die nicht für eine lockere Anmoderation geeignet sind. Ingo Hoppe, der ohnehin alles aus dem Stehgreif präsentiert, macht sich Gedanken, wie er Mathias Kolbecks Informationen zur CDU-Spendenaffäre und das wenig später gesendete Live-Interview mit einem Arzt zur neueröffneten Kinderklappe in Neukölln am Besten kommentiert. Und während Hoppe zeigt, dass er als Vollblutjournalist auch die ernsten Seiten des Lebens angemessen vermitteln kann, wacht Stefan Lauchstädt ihm gegenüber hinter der Glasscheibe darüber, dass die vorgesehene Zeit nicht überschritten wird. Dann singt Dirk Busch „Wer weiß denn heute schon was morgen ist”. Klar, dass Hoppe damit auf das Wochenende anspielen kann und ­ während er den nächsten Titel einwinkt, das heißt der Technikerin hinter der Scheibe anzeigt, dass die Musik abgefahren werden kann ­ hat er schon die passende Einleitung auf Lager: „Kennen Sie was das wird - AZK - Aufforderung zum Knutschen ­ Nicole „Dann küss' mich doch”.

Ich bin sicher, dass Peter Klinke hart bleiben wird, er hat Seriöses zu tun, er bereitet sich auf den 88acht-Report vor - intensiv, gleich kommt er.” Danach gibt es Des'ree mit „Life” und das Wetter, ebenfalls live. Ingo Hoppe freut sich auf „Morning has broken” von Cat Stevens, denn das ist „Etwas zum Kuscheln, wenn keiner da ist, dann engagieren sie einfach ihren alten Stoffbären.” Bilder im Kopf gelingt es anschließend Elke Krokowski zu zeichnen, die live mit dem Ü-Wagen von einer gewaltigen Brückenkonstruktion berichtet, die die Deutsche Bahn in Tiergarten baut. „Stimmungsbilder zeichnen, möglichst live, mit dem Ü-Wagen draußen bei den Menschen” will Stefan Lauchstädt ohnehin am liebsten. An diesem Morgen kann er zufrieden sein. Nach Nachrichten und Frühkommentar aus dem Hauptstadtstudio präsentiert Susanne Utsch um Viertel Neun live im Studio ihren Bericht über die Licht-Schau am Jüdischen Museum. Sie lässt sich weder durch Ingo Hoppes Nachfragen noch durch die knappe Zeit aus der Ruhe bringen. „Leben so wie ich es mag” singt Volker Lechtenbrink.

Ingo Hoppe moderiert eine Woche früh, die nächste nachmittags. Morgens ist die Sendung flotter, nachmittags kommt ihm die spätere Aufstehzeit zu Gute, erzählt er bei einer Tasse Grünem Tee im Studio. Über Radio 4 U und Radio B Zwei, wo er alle Ausbildungsstufen im SFB durchlaufen hat, landete Hoppe, der in der Nähe von Cuxhaven geboren ist, schließlich bei 88acht. Im September 1999 kam er nach einem Fernsehausflug zum privaten TV.Berlin zurück. Radio ist eben sein Metier. Ansonsten spielt er etwas Tennis und kümmert sich neben der Familie um seinen großen Garten. „Diese Combo hier heißt Wilder Garten. Sie wissen schon: Die hemmungslose Liane, die vereinnahmende Kletterpflanze - da draußen wird gekichert, scheint keine Gärtnerin zu sein“ scherzt Ingo Hoppe zu Producerin Anne Dieker und ihrer Technikerin. Dann tritt Dieter Mäder ins Studio. Der Mann, der morgens um Drei schon auf dem Fruchthof weilt, um die besten Verbrauchertipps und Preisvergleiche an die Hörer weitergeben zu können. Heute hat er eine große Tüte mit Orangen mitgebracht. Ingo Hoppe hat sie längst inspiziert und balanciert die Südfrüchte auf seinem Moderationspult. 

Der Zeiger der großen Studiouhr rückt auf Neun vor. Das war's für heute. Nicht ganz. Die Redaktionskonferenz mit Hermann Meyerhoff steht noch an. Der 88acht-Wortchef hat viel lobende Worte übrig, kritisiert einzig die Häufung von Beiträgen in einer halben Stunde dieses Morgens. Draußen scheint die Sonne. Der Morgen macht endgültig dem Vormittag Platz.

Drei Tage später. Es ist Montag. Diesmal sitzt Margitta Hoppe in der Redaktion und Heiner Knapp moderiert. Seit 1998 am Morgen, vorher war er tagsüber im 88acht-Programm zu hören. Von der Uni kam Knapp über ein Praktikum zu einer Musikredakteursstelle beim SFB. Hier ist er auch für die „Plattenkiste“ und die Volksmusiksendung zuständig. 1992 kam auch noch Fernsehen hinzu - der „Wochenmarkt“ in B1, dem Dritten Programm des SFB. Heiner Knapp hat eine 13-jährige Tochter und ist in seiner Freizeit gern auf Reisen. Oft auch mit den Hörern, die ihn nach Hongkong oder Bali, Bangkok oder Singapur, China oder Marokko begleitet haben. Pianist ist er auch, spielt gerne Unterhaltungsmusik am Klavier. Heute ist er ganz schön erkältet. 

„6 Uhr 5 - Guten Morgen Berlin mit Heiner Knapp“ ertönt es in den Radios. Das rote Licht an der Studiotür leuchtet auf. „Es ist zwar nicht so richtig erkennbar, aber die Sonne kommt noch, versprochen, und wenn sie dann da ist, wär's natürlich schön, wenn Sie schon gewaschen und - zumindest gilt das für die Herren ­ rasiert und möglicherweise in Hut und Mantel sie begrüßen würden, und damit das alles klappt, sind wir dran mit Guten Morgen Berlin um 6 nach 6 - Ihnen allen einen schönen Tag.“ Stevie Wonder lässt seinen „Part Time Lover“ erklingen und Howie schmettert „Hello Again“ in die Lautsprecher. 

Margitta Hoppe kommt ins Studio und liest die Presseschau. Die Spendenaffäre ist immer noch aktuell, doch ebenso sind wir Menschen ins Gerede gekommen, mit einem Genpool von „zwei Fruchtfliegen“, wie die taz schreibt. Die BVG will wieder ein neues Tarifmodell einführen. Niemann singt „Im Osten“ und Cliff & Rexonah finden ihr „Ganz großes Glück“. Dann ist es halb Sieben. Premiere für Christian Bremkamp und seinen 88acht-Report. Souverän und ohne einen Verhaspler geht es um die Spenden, eine Bilanz des Winterschlussverkaufs und den geplanten Großflughafen.

Meteofax schickt diesmal Susanne Danßmann ins 88acht-Studio. Sie strahlt ob des sonnigen Wetters und plaudert mit Heiner Knapp über die Aussichten der nächsten Tage. „Holen Sie die T-Shirts raus, es wird ein schöner Tag“ meint dieser. Bei 9 Grad Höchsttemperatur wohlgemerkt. Heiner Knapp ist auch ein Morgenmoderator mit Augenzwinkern. Ein alter Radiohase, der keine Manuskripte braucht, da sie seinen Redefluss behindern würden.

6 Uhr 40. Helmuth Orzechowski, den alle auf Grund seines komplizierten Namens einfach Orze nennen, kommt den langen Flur entlang. Er präsentiert jeden Montag den Sport vom Wochenende. Die Auswahl soll bewusst subjektiv erfolgen, auch mal Randsportarten berücksichtigen und die lokale Komponente steht natürlich vorn an. Hertha BSC und Union, Tennis und Boxen heißt das heute. Helmuth Orzechowski bereitet für den Moderator auch die Übergänge vor. Kleine Wortspiele oder emotionale Anekdoten, die locker präsentiert werden und einen monotonen Vortrag verhindern sollen. „9 Minuten nach 7 - das war, schon lange nicht mehr gehört - Engelbert, - der Mann mit diesem schicken Oberlippenbärtchen. So eine Art Möllemann der Popmusik, wenn man mal so will ­ allerdings einer der nicht um Stimmen wirbt sondern dann selber eine hat. Und die klang ja auch ganz schön, wie das klingt, wenn mehrere Herrschaften singen, hören wir nun.“ Die Prinzen intonieren „Alles nur geklaut”.

Frauke Gust hat mittlerweile ihren Bericht vom Vorabend fertiggestellt. Heiner Knapp kündigt ihn an: „Gleich wollen wir uns ein bisschen mit der Berlinale und den Stars die da so rumspringen beschäftigen - vorher kommt aber erst mal ABBA.“ Tina Turner nennt er danach „die Mutter Beimer der Soul-Musik“. Dreiviertel Acht sitzt Wolf Siebert im Studio. Er ist bei 88acht für die Landespolitik verantwortlich und wird heute natürlich über Landowsky reden. Nach Berhard Brinks „Ich wär so gern wie du“ und einem „Lied aus Bella Italia“ sind die Nachrichten und der Frühkommentar dran.

Heiner Knapp erzählt derweil von den Unterschieden zwischen ihm und Ingo Hoppe. Der erzählt gern seine persönlichen Anekdoten, ist der ideale Schwiegersohn und lässt keine Pause zwischen zwei Titeln aus, um seinen Plaudereien Raum zu geben. Heiner Knapp geht es etwas ruhiger an und verlegt sich mehr auf Wortspiele. „Ich habe manchmal einen fatalen Hang zum Kalauer“ nennt er das schmunzelnd. Eine Kostprobe kommt wenig später: „Die Mecklenburger haben ihre Seenplatte - unsere Platten können Sie nicht sehen, aber hören.“

Stefan Förster
Fotos: © SFB
www.radioberlin.de

Aus RADIOJournal 4/2001

• Nach dem Zusammenschluss von SFB und ORB zum Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), nennt sich das Stadtradio seit dem 7. November 2005 radioBERLIN 88,8 mit dem Slogan "Mehr Pop. Mehr Stadt. Mehr Radio". Aus dem ehemaligen Schlagerradio wurde nach 13 Jahren ein Popsender, wobei Pop für melodiebetonte Musik steht. Ingo Hoppe moderiert weiterhin die Frühsendung »Guten Morgen Berlin - Das Neueste aus der Stadt« von 6.00 bis 10.00 Uhr. Heiner Knapp ist von 5.00 bis 6.00 Uhr mit dem »radioBERLIN Wecker« on air, moderiert die »Rock Dreams« am Freitagabend und ist mit »Pop ab! Hit-Mix am Sonnabend« präsent.