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Das Beste aus 20 Jahren RADIOJournal

»pura vida« - Das pure Leben!
Zwei deutsche Freiwillige über ihre Arbeit
bei RFPI in Costa Rica

Hamburger Orientierungssuche

Silke: Im eigenen Leben kommt der freiwillige Gedanke oft zu kurz. So vieles muss man machen, abwaschen, einkaufen, Geld verdienen, dass man gar nicht mehr auf die Idee kommt, nebenbei noch freiwillig und umsonst zu helfen. Da kam im letzten Frühjahr der Aushang im Journalistik Institut der Universität Hamburg gerade recht. Dort klebte ein Infozettel am Schwarzen Brett, der auf Praktika im Ausland hinwies. Die Internationale Medienhilfe e.V. vermittelt Praktika in deutschsprachige Medienbetriebe im Ausland. Neben Tageszeitungen in Afrika und Monatsmagazinen in Südfrankreich stehen auch verschiedene Radiosender zur Auswahl.

Mein Studienschwerpunkt in Ethnologie liegt auf Lateinamerika, ich habe ein Jahr im Norden Kolumbiens gelebt und mehrmals Freunde in Mexiko besucht, daher entschied ich mich für Radio for Peace International (RFPI), mit Sitz in Costa Rica. In der Sonne der Karibik meine Arbeitskraft für mehr Frieden und Gerechtigkeit in der Welt einsetzen, das war ein guter Gedanke. Neben meinem Studium arbeite ich auch für ein Straßenmagazin in Hamburg und versuche damit, Obdachlosen wieder eine Perspektive zu geben. Das schärft den Blick für soziale Anliegen, wie sie auch Radio for Peace International vertritt. Nach einigen Monaten und mehreren eMail-Kontakten landete mein Flugzeug auf dem Juan-Santamaria-Airport in der Nähe der Hauptstadt San José. RFPI organisierte eine Gastfamilie in Ciudad Colón, und drei Monate Einsatz im Studio und auf der Straße lagen vor mir.

Kölner Magisterstress

Sonja: Endlich habe ich mich dazu durchgerungen, mich zum Magisterexamen anzumelden. Nach mehrmonatigen Aufenthalten in Spanien und Argentinien, verschiedenen Praktika und freier Mitarbeit beim Radio und Fernsehen, war die Theorie an der Universität weiter in den Hintergrund getreten. Nun stand ein dreiviertel Jahr Bücher büffeln bevor: Primär- und Sekundärliteratur der Fächer Germanistik, Hispanistik und Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften. Ich musste irgendeinen Anreiz für mich finden, um die theorielastige Examensphase zu überstehen. 

Bei Recherchen im Internet bin ich auf die Seite der Internationalen Medienhilfe gestoßen: freiwillige Mitarbeit bei einem internationalen Friedenssender in einem spanischsprachigen Land, noch dazu in tropischen Gefilden! Dies schien mir eine optimale Kombination: ein neues Land auf dem lateinamerikanischen Kontinent entdekken und eine alternative Berichterstattung bei einem nicht-kommerziellen Radiosender kennen zu lernen.

Gut zwei Wochen nach der letzten mündlichen Prüfung standen meine Koffer gepackt am Düsseldorfer Flughafen. Ziel: San José, Costa Rica, raus aus der staubigen Bücherwelt ins feucht-heiße Klima Mittelamerikas.

Ciudad Colón, Costa Rica

Drei Monate abwechslungsreiche Arbeit stehen uns nun bevor. Je nach Interessensgebiet können sich die Freiwilligen bei RFPI sehr vielfältig engagieren. Die Radiostation produziert täglich ein sechsstündiges Programm, welches auf VHS aufgenommen dreimal wiederholt wird: Somit sind wir rund um die Uhr in fast allen Teilen der Welt zu hören. Die gesendeten Beiträge betrachten die aktuellen Geschehnisse auf der Welt aus einer alternativen Perspektive und geben Themen wie Menschenrechte, benachteiligten Bevölkerungsgruppen und Umweltschutz ein geeignetes Forum. 

Die meisten Sendungen kommen auf CD oder Kassette von unabhängigen Radioproduzenten aus den USA, einige werden von uns über das Internet auf MD geladen. Jeden Tag rufen die Vereinten Nationen aus Washington an, damit wir ihre neuesten Nachrichten per Telefonübertragung aufnehmen können.

Die Programmgestaltung hängt vor allem davon ab, wie viele Volontäre bei unserem Friedenssender arbeiten und wie viel Engagement diese in die Arbeit der Station investieren. Zur Zeit sind wir beide die einzigen Volontärinnen bei RFPI. Daher verwenden wir viel Arbeitszeit darauf, das tägliche Programm vorzubereiten: Moderationen schreiben, Programme zusammen suchen, einzelne Beiträge auf MD, Kassette oder CD ein- und ausfaden, für den Übergang eigene Ansagen sprechen oder hauseigene Jingles schalten. 

Die Arbeit in einem nicht-kommerziellen Radiosender setzt viel Geduld und Flexibilität voraus, wie wir schnell feststellen mussten. Vor allem die Technik entpuppte sich als eine der größten Hürden. Die Internetverbindung setzt manchmal für mehrere Stunden am Tag aus oder ist so langsam, dass das Herunterladen von aktuellen Nachrichten Stunden wertvoller Arbeitszeit in Anspruch nimmt. Starke Winde beschädigen die Antennen, veraltete Transmitter geben ihren Geist auf oder die Übertragung wird durch einen Stromausfall ausgesetzt.

Als Reporter unterwegs

Die freie Zeit am Wochenende nutzen wir für unsere Außenreportagen. Die ersten O-Töne haben wir in der Hauptstadt San José gesammelt. Fast 1000 Menschen haben sich am 15. Februar ­ wie Millionen von Kriegsgegnern weltweit ­ auf dem Plaza de la Cultura versammelt, um für den Frieden zu demonstrieren. Die costaricanischen Pazifisten waren gerne bereit, uns ihren Unmut und Enttäuschung über die US-Regierung mit zu teilen, schließlich hat ihre Regierung vor über 50 Jahren das Militär abgeschafft. Damit hat sich Costa Rica im Laufe der Jahre zu einem Ausnahmestaat im krisengeschüttelten Mittelamerika entwickelt.

Neben dem friedlichen Ambiente zieht die Besucher des Landes vor allem die artenreiche Tier- und Pflanzenwelt an, die in diversen Naturreservaten und Nationalparks geschützt wird. In den letzten Jahren sind im ganzen Land zahlreiche ökologische Projekte entstanden, zu denen Naturfreunde aus aller Welt anreisen. Inzwischen boomt das Geschäft mit dem Ökotourismus und fast alles vom Hotel bis zum Autoverleih verkauft sich besser mit dem Markenzeichen „Öko“. Ein Projekt, das nicht nur auf die Devisen der Touristen aus ist, sondern vor allem die Kooperation mit einheimischen Bauern anstrebt, haben wir in der Provinz Cartago entdeckt.

Die Ökofarm „La Flor“ führt Volontäre aus dem Ausland und ansässige Dorfbewohner bei der gemeinsamen Arbeit auf dem Feld zusammen, um so allen Beteiligten die Besonderheiten der ökologischen Landwirtschaft näher zu bringen. Neben dem Meckern junger Ziegen und gackernden Hühnern konnten wir außerdem die enthusiastischen Stimmen der Freiwilligen auf dem Hof aufnehmen, dazu gab es eine Tasse Tee aus frischgepflückten Kräutern des hofeigenen Heilpflanzengartens.

Nicht nur Idylle

Abseits vom idyllischen Landleben zeigt sich Costa Rica auf den belebten Straßen der Hauptstadt San Josés von einer ganz anderen Seite: Zwischen halbverfallenen Häusern schieben sich Kolonnen rostiger Straßenkreuzer durch die engen Straßenzüge. Verwahrlost aussehende Kinder laufen bei jeder roten Ampel an die Fensterscheiben der Autos, um mit dem Verkauf kleiner Alltagswaren das Nötigste zum Überleben zu verdienen. Die meisten dieser Kinder verbringen Tag und Nacht auf der Straße. Wenn sie Glück haben, liest Doña Guiselle sie auf.

Doña Guiselle ist vor 25 Jahren aus den USA ausgewandert und widmet seitdem ihren Lebensalltag dem Schutz von Straßenkindern. Wir haben sie einen Tag bei ihrer nervenaufreibenden Arbeit begleitet und uns von ihren Schützlingen über die Gefahren und Probleme des Lebens auf den Straßen der Großstadt aufklären lassen.

Schwierigkeiten ganz anderer Art konnten wir auch vor der eigenen Haustür des Radiosenders ausfindig machen. Nur einige Minuten entfernt liegt das Reservat Quitirrisí, dessen Ureinwohner unter der mangelnden Fürsorge der costaricanischen Regierung zu leiden haben. Bei einem Treffen im Heilzentrum des Reservates sprachen wir mit dem „Curadero“ Juan über seinen Wunsch nach einer traditionellen Ausbildung für die Kinder des Stammes Qutirrisí. Um die ursprüngliche Kultur und Sprache der Ureinwohner zu erhalten, plant RFPI in naher Zukunft die Visionen Juans mit öffentlichkeitswirksamen Sendungen voran zu bringen.

Eine eigene Radiosendung

Aus diesem bunten Topf abwechslungsreicher Eindrücke produzieren wir unsere Beiträge. Um unsere Hörer an der Vielfalt des Lebens in Costa Rica teilhaben zu lassen, benötigten wir ein geeignetes Forum. Also beschlossen wir, unsere eigene Sendung zu machen. Ein Name war schnell gefunden: „pura vida“ ­ das pure Leben. So antwortet man in Costa Rica auf die Frage, wie es einem geht. 

Neben den englischen Programmen in unserem Sendeplan wollten wir auch andere Sprachen zu Wort kommen lassen, um dem Begriff „International“ im Namen unseres Friedenssenders gerechter zu werden. Daraus entstand das Konzept für unser einstündiges Programm: ein halbe Stunde auf Deutsch und eine halbe Stunde auf Spanisch sollen vor allem Hörer aus Europa erreichen, die sich für Nachrichten, Reportagen und Interviews aus Lateinamerika interessieren.

Im Internet suchten wir nach spanischen und deutschen Kooperationspartnern und wurden bei dem Radioprojekt Onda aus Berlin fündig. In Zusammenarbeit mit unabhängigen lateinamerikanischen Nachrichtenagenturen veröffentlicht das Projekt Onda wöchentliche Newsletter und Hörfunkbeiträge. 

Zusammen mit weiteren Informationsquellen wie der costaricanischen Tageszeitung „La Nación“ oder der Homepage des alternativen Mediennetzwerkes „Indymedia“ bilden sie die Quelle unseres deutschen Newsblocks. Im spanischen Teil bringen wir unsere Reportagen unter, dazwischen moderieren wir mit verteilten Rollen, Sonja auf Deutsch, Silke in Spanisch. 

Jetzt tauchten wir auch in einen weiteren Arbeitsbereich eines Medienbetriebes ein, die Werbung. Um unsere Sendung publik zu machen, schrieben wir alle uns bekannten deutschen und spanischen DX-Clubs und Newsletter-Verteiler an und hofften so auf jede Menge neuer Hörer.

Schon zur zweiten Sendung konnten wir die ersten Hörerbriefe vorlesen. Ein Radiohörer aus Schweden lobte unsere Berichterstattung über lateinamerikanische Länder, die in den westlichen Mainstream-Medien oft vergessen werden. Ein anderer Hörer aus London stellt sich für unsere Sendung jeden Montagmorgen das Radio neben sein Bett. Das positive Feedback ermuntert uns zum Weitermachen. Und so sitzen wir immer noch voller Energie und Ideen im Studio, eingeschneit mit Arbeit, aber mit der prallen Sonne Costa Ricas vor der Tür, in der Hoffnung, unseren Hörern einen Eindruck der bunten Vielfalt Lateinamerikas zu vermitteln. In diesem Sinne: „pura vida!“

Silke Dittrich / Sonja Norgall
Fotos: © Mark Woodward
www.rfpi.org

Aus RADIOJournal 5/2003