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Das Beste aus 20 Jahren RADIOJournal

Radio Syd feiert
25-jähriges Bestehen

Ursprünglich aus dem dänischen "Radio Mercur" - Europas erster schwimmender Rundfunkstation überhaupt - hervorgegangen, blickt Radio Syd auf eine äußerst wechselvolle Geschichte zurück. Zwischen Anfang 1962 und Anfang 1966 aus dem Öresund für die südschwedische Provinz Schonen sendend, sahen sich Eignerin Britt Wadner und ihre Mannschaft (die sich hauptsächlich aus den Mitgliedern ihrer Familie zusammensetzte) Problemen mannigfacher Natur gegenüber. Da waren einmal die schwedischen Behörden, die der kleinen Radiostation mit der freundlichen "message" und viel Musik das Leben schwer machten, weil sie - trotz des in ganz Skandinavien ratifizierten Anti-Seesendergesetzes - einfach weitergesendet hatte, als ob nichts geschehen sei. Das führte über die Jahre zu vielerlei Schwierigkeiten. So wurden beispielsweise harmlose Werbekunden vor Gericht gezerrt, weil sie über eine "illegale" Rundfunkstation warben.

Auch Britt Wadner landete deswegen mehrfach vor dem Kadi und wurde im August 1964 sogar zu einer einmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. Wieder in Freiheit, ließ sie nicht eine Sekunde verstreichen, um in ihr Büro und Aufnahmestudio im Zentrum Malmös zu gelangen und ihren Sender, der zwischenzeitlich von ihrem Lebensgefährten Ingvar Hjulström kommissarisch geleitet worden war, wieder in eigener Regie zu übernehmen.

Natürlich empfand man das behördlicherseits als totalen Affront, aber wer die streitbare ehemalige Schönheitskönigin kannte, wusste sehr wohl, dass sie sich so leicht nicht geschlagen geben würde. Dann gab es im Herbst/Winter regelmäßig Probleme mit dem Packeis auf der Ostsee, dem das kleine Schiff wochenlang ausweichen musste. Das bedeutete Einnahmeverluste, da man nicht senden konnte und das Schiff in den Hafen von Limhamm bei Malmö einlaufen lassen musste, um es dort so lange zu belassen, bis die Wetterverhältnisse sich gebessert hatten. Im Januar 1966 war es wieder einmal soweit. Britt Wadner selbst war von den anhaltenden Querelen mit Behörden, Naturgewalten usw. total entnervt und bekundete gegenüber der schwedischen Presse irgendwann, sie habe die Nase voll und wolle ihr Schiff, die "Cheeta II", verkaufen und den Sendebetrieb nicht wieder aufnehmen. Dabei war es kurz zuvor noch mit einem Fernsehsender ausgestattet worden und wäre damit imstande gewesen, die erste schwimmende TV-Station der Welt zu werden.

Die "Cheeta II" kehrte also nicht wieder an ihren alten Ankerplatz zurück, als das Wetter es ihr im kommenden Frühjahr ermöglicht hätte. Statt dessen dampfte der gemütliche kleine Pott vor die englische Küste, um dort für einige Wochen zur Sendebasis von "Radio Caroline" zu avancieren, dessen Schiff kurz zuvor auf Grund gelaufen war und dem Britt Wadners Offerte sehr gut zupass kam. Nachdem die "Mi Amigo" von einer holländischen Werft zurückgekehrt war, strahlte Caroline für einige Tage von beiden Schiffen ein simultanes Programm aus, doch dann war die gute alte "Cheeta II" endgültig arbeitslos. Es gab zwar noch einigen Hickhack, bevor sie die britischen Nordseegewässer - diesmal mit Kurs Süd - verlassen konnte, aber an eine erneute Rückkehr nach Schweden war nicht mehr zu denken.

Darüber, was ab November 1967 bis zum Auftauchen des kleines Schiffes - zunächst vor den Kanarischen Inseln - passierte, gibt es bis heute keine gesicherten Informationen. Möglich ist (so wurde es mir mal erzählt), dass Britt Wadner glaubte, dort einen Käufer für die "Cheeta II" gefunden zu haben. Indes hörte, der sich damals gerade dort aufhaltende Staatspräsident des kleinen westafrikanischen Landes Gambia, angeblich die Geschichte der tapferen "Piratenkönigin" mit dem starken Willen. Sie wiederum soll ihn so beeindruckt haben, dass er sie dazu einlud, mit ihrem Schiff in sein Land zu kommen, um dort aus dem Hafen der Hauptstadt Bathurst (heute Banjul) legal zu senden. Wie es scheint, war die ganze Familie schließlich bereit, das Wagnis einzugehen, und so landete die "Cheeta II" eines Tages tatsächlich in Westafrika und wurde ganz offiziell die erste und einzige private gambische Rundfunkstation, die zudem noch aus ruhigeren Gewässern senden konnte. Weder war in Afrika Packeis zu befürchten noch wildgewordene Behörden, die ihr ganzes Tun darauf ausrichten würden, einer harmlosen kleinen Rundfunkstation den Garaus zu machen.

Am 7. Mai 1970 konnte Radio Syd (auch der alte Name wurde beibehalten) auf der Mittelwelle 329 Meter (910 kHz) seine Sendungen wieder aufnehmen. Natürlich nicht durchgehend in schwedischer Sprache, gleichwohl aber während der dortigen Touristensaison mit einem täglich einstündigen Programm, um in den übrigen Zeiten sowohl in Englisch und Französisch als auch in den einheimischen Sprachen Walloff und Mandinka zu senden. Die englischsprachigen Sendungen sind hauptsächlich für Gambia bestimmt (früher britische Kolonie), während die französischsprachigen mehr in Richtung Senegal (früher französische Kolonie) zielen, wo sich Radio Syd ebenfalls großer Beliebtheit erfreut. Noch ein Unikum am Rande: Die Nachrichtensendungen übernimmt Radio Syd grundsätzlich vom staatlichen Radio Gambia, mit dem es sich in Freundschaft verbunden fühlt.

Britt Wadner starb 1987 im Alter von 72 Jahren und liegt im südschwedischen Städtchen Baastad begraben neben ihrem langjährigen Lebenspartner und Radio Syd-Mitstreiter Ingvar Hjulström, der 1990 gestorben ist. Im letzten Jahr ist es mir gelungen - erstmalig seit 1967 - mit Connie Enhörning, Britt Wadners Tochter, Kontakt aufzunehmen. Connies Halbbruder Kaage (Kalle) Alfe, eine der wichtigsten Stimmen von Radio Syd in Schweden, hat in den vergangenen Jahren am Aufbau zweier südschwedischer Privatsender mitgewirkt.

Zurück zu Radio Syd in Gambia. Eines Tages wurde Familie Wadner dort das Angebot unterbreitet, die Sendungen statt vom Schiff von Land aus fortzusetzen. Die "Cheeta II" wurde, wie mir Connie im letzten Jahr schrieb, in den siebziger Jahren an einen Senegalesen verkauft, der darauf anschließend ein Restaurant eröffnete. Wie immer auch passiert, ist die "alte Dame Cheeta II" dort irgendwann dann aber gesunken. Connies Schilderung zufolge ist das Frack, das in der Mündung des Gambia-Flusses auf Grund liegt, bei Niedrigwasser immer noch gut zu sehen. Bis 1981 gehörte den Wadners außer dem Sender noch das Fünf-Sterne-"Wadner Beach Hotel", das Britt an einen Gambier verkauft hat.

Radio Syd ist, wie es scheint, eine "never-ending story", was ich Sender, Betreibern und mittlerweile zwölf Mitarbeitern von ganzem Herzen gönne, denen ich zu ihrem 25-jährigen Geburtstag am 7. Mai 1995 "hjärtlige lyckönskningar till födelsedagen och maanga, maanga flera och trivsamma aar i Afrika" zurufen möchte. Und vergesst bitte nie Radio Syds "roots", ihr Lieben, die da vor langer, langer Zeit mal "Saa länge skutan kan gaa" ("Solange das Schiff schwimmt") hießen.

Jürgen Steinhoff
Fotos: © Jürgen Steinhoff / Peter Messingfeld

Aus RADIOJournal 5/1995

• Autor Jürgen Steinhoff ist am 14. Juni 1997 im Alter von 58 Jahren in Hamburg verstorben. Seine Near-Lifetime-Story "Ich glaub', mich streift 'n Sender oder Die Pop-Piraten und ich" erschien in 35. Folgen und begann mit Heft 8/1992. Jürgens Leben war das Radio, insbesondere die Seesender- und Offshore-Szene hat ihn stark fasziniert, zeitweilig schrieb er die Geschichte sogar selber mit. Als junger Mann fuhr er 1962 mit einem Jugendreisebüro per Bahn von Berlin nach Stockholm und fand auf der Skala seines Kofferradios einen Sender, der ihn magisch anzog, weil er mehr Musik brachte als die anderen, mehr auch als er es aus Hamburg kannte. Als er den Herbergsvater fragte, was das für ein interessanter Sender sei, den sie pausenlos in der Jugendherberge hörten, erfuhr er, dass es sich um eine Station handelte, die von einem Schiff vor der Küste sendete. Ihr Name war "Radio Nord". Zweieinhalb Jahre später arbeitete er als Außenhandelskaufmann im südschwedischen Hälsingborg. Allerdings existierte sein fast schon wieder vergessenes "Radio Nord" zu jener Zeit schon gar nicht mehr. "Radio Nord" war nicht der erste europäische Jack KotschackPiratensender. Schon über zwei Jahre vor dessen Start sendete "Danmarks Commercielle Radio", später in "Radio Mercur" umgetauft, von einem Schiff im Öresund. Radio Mercur sendete vier Jahre lang von Bord des M/S "Lucky Star" bzw. "Cheeta I" und "Cheeta II" und wurde behördlicherseits  dazu gezwungen seine Sendungen am 31. Juli 1962 einzustellen. Von dem Erfolg des Senders hatte ein in Stockholm lebender Finnlandschwede namens Jack Kotschack gehört. Der Gedanke, es seinen dänischen Vorläufern gleichzutun, ließ ihn schon Ende 1959 nicht mehr los. Am 21. Februar 1961 erklangen von Bord des Sendeschiffes "Bon Jour" erstmals Testsendungen unter dem Stationsnamen "Radio Nord". Das schwedische Parlament verbot daraufhin zu Rundfunkstationen umgebauten Schiffen das Anlaufen schwedischer Häfen. "Radio Nord" sendete auf Mittelwelle 495 Meter und erfreute sich zunehmender Beliebtheit bei den schwedischen Rundfunkhörern. Wegen imenser Schwierigkeiten mit Naturgewalten, technischen Problemen und behördlicher Maßnahmen, stellte Radio Nord seine Sendungen - trotz großer Popularität besonders bei jungen Leuten - am 30. Juni 1962 ein, nachdem ein entsprechendes Anti-Piratengesetz vom schwedischen Parlament verabschiedet worden war. 1964, Jürgen Steinhoff war gerade nach Hälsingborg umgezogen, entdeckte er auf der Radioskala die schwimmende Rundfunkstation "Radio Syd", die ihn in den kommenden 21 Monaten, in denen er in der Provinz Schonen lebte, nicht mehr los ließ. Live von Bord kam nur eine einzige Sendung, die denn auch "Radio Syds" beliebteste war, nämlich »Söndagsposten«  (»Sonntagspost«) mit Britt Wadner. Jürgen nahm Kontakt zu den Wadners auf, lernte die sympathische Familie und ihre Probleme persönlich kennen und begab sich zum ersten Mal in seinem Leben an Bord eines Sendeschiffes. Als er am 25. September 1965 mit der Autofähre von Malmö nach Kopenhagen übersetzte, um zurück nach Deutschland zu fahren, hörte er noch einmal die Radio Syd-Hymne "Sä länge skutan kan gä" - zum letzten Mal. Geblieben ist der Kontakt zu Familie Wadner und der Beginn einer langen Seesender-Geschichte.