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Radio vom und für den Felsen: »Hier ist Gibraltar...«

Einzigartig in Europa ist nicht nur der politische Status der britischen Kronkolonie, sondern auch die Mixtur aus britischer Lebensart und spanischer Natur. Die Halbinsel Gibraltar liegt an der Südspitze Spaniens am westlichen Eingang zum Mittelmeer. Die Straße von Gibraltar ist 34 Kilometer lang und an der schmalsten Stelle 14 Kilometer breit. Hier wird Europa von Afrika getrennt. Gibraltar heißt aus dem Arabischen übersetzt: „Felsen des Tarik”, denn Feldherr Tarik eroberte schon 711 v. Chr. den Felsen. Seit 1704, durch die Eroberung des britischen Admirals George Rooke im spanischen Erbfolgekrieg, ist Gibraltar im Besitz ihrer Majestät von Großbritannien.

Gibraltar - Felsen am Rande Europas

Die Halbinsel ist nur 6,5 Quadratkilometer groß und das Vorgebirge ist ein 1250 Meter breiter und 425 Meter hoher Kalkfelsen und in seiner Form eines der bekanntesten Wahrzeichen des gesamten Mittelmeerraumes. Schon im Vertrag von Utrecht wurde 1713 Gibraltar auch offiziell den Briten zugesprochen, aber als London seiner Besitzung 1969 eine gewisse Autonomie gab, antwortete der damalige spanische Diktator Franko mit einer totalen Blockade. Der „Kalte Krieg” war da. Schon König Philipp V. von Spanien hatte mal gesagt: „Wie mit Dornen in den Füßen müssen wir Spanier leben, solange Gibraltar England gehört”.

In dem „Klein-Britannien” leben heute rund 30.000 Menschen meist spanischer, portugiesischer und marokkanischer Herkunft, aber natürlich auch noch Briten. Zu Zeiten Francos war Gibraltar abgeschottet wie die innerdeutsche Grenze. Den Bewohnern der spanischen Kleinstadt La Linea gegenüber dem Felsen war der direkte Weg versperrt. Sie mussten Umwege über Tanger machen, wenn sie Verwandte besuchen wollten. Auch die Telefonleitungen zwischen Spanien und Gibraltar waren blockiert und so war Radio Gibraltar die einzige Verbindung mit den Nachbarn. Erst am 5. Februar 1985 wurde die Blockade aufgehoben, aber mit dem Flugzeug geht es noch immer nicht. Alle Maschinen, die Gibraltar anfliegen, dürfen den spanischen Luftraum nicht benutzen und müssen einen Umweg über Tanger und das Meer machen. Anfang des Jahres 2000 eskalierte der Streit wieder; Madrid wollte die Führerscheine der Inselbewohner nicht mehr anerkennen. Inzwischen hat man sich auf höchster Ebene geeinigt. Seit Jahren fordern die nationalbewussten Spanier - auf dem linken wie rechten Spektrum - die Kolonie zurück. Die Bewohner Gibraltars lehnen dies jedoch ab. Bei der letzten Volksabstimmung stimmten 98 Prozent für einen Verbleib unter der britischen Krone. Im Bild: Funkhaus von Radio Gibraltar.

Hier ist Radio Gibraltar...

Seit Jahren betreibt die Gibraltar Broadcasting Corporation auf der Enclave einen 24-stündigen Rundfunk- und Fernsehdienst. Auch heute noch wird auf Mittelwelle 1458 kHz mit zwei Kilowatt gesendet. Das kleine Funkhaus befindet sich in der South Barrack Road 18, gegenüber der Gibraltar Telecommunications International. Hier sprach ich mit General Manager George J. Valarino über Radio Gibraltar. Meine erste Frage: „Wann wurde Radio Gibraltar gegründet?”. 

George: „...Am 16. Februar 1955 ging unser Signal erstmalig on air. Über 100.000 Menschen hörten unser Programm. Das war einmalig bei der damaligen Situation, wir waren das Sprachrohr für die Menschen da draußen, meldeten Todesfälle und Geburten, Glückwünsche und brachten Musik. Durch unsere Stimme erfuhren die Bewohner in Spanien von Neuigkeiten und Schicksalen, dann standen sie stundenlang am Grenzzaun und besprachen ihre Probleme. Noch heute hören unsere Nachbarn und die vielen Urlauber unser Programm. Zur Zeit sind wir die Nummer 1 im umliegenden Sendegebiet. Das liegt auch an unserer Mittelwelle, die man noch in Malaga empfangen kann. Wir beginnen morgens um sieben Uhr mit den Weltnachrichten, zehn Minuten später beginnt unsere »Breakfast-Show« - bei Ihnen heißt es wohl „Frühstücks-Programm” - mit Musik zum Aufwachen. Dann folgt das Wetter, Veranstaltungstipps und der Hafenbericht. Auch über die Ankunfts- und Abflugzeiten der Airlines geben wir Auskunft. Anschließend folgt unsere vierstündige »Morning Show« ab 8.30 Uhr. Ab 12.30 Uhr beginnt die aktuelle Stunde und ab 14 Uhr senden wir in spanischer Sprache unser „Saludos”-Programm bis 16 Uhr. Zu dieser Zeit machen die Spanier zu Hause Siesta und hören Radio. Dieses Programm ist sehr beliebt, es beinhaltet Musik, Gewinnspiele per Telefon und die Lotterie. Ab 16 Uhr beginnen wir mit dem Nachmittagsprogramm. Jeweils zur vollen Stunde gibt es die neuesten Nachrichten aus Gibraltar und aller Welt. Ab 19.30 Uhr übernehmen wir bis zum Morgen den BBC World Service aus London. Am Wochenende läuft ein unterhaltendes Programm mit Sport, Lotterie und den TOP 40. Sonntags übertragen wir auf Mittelwelle den Gottesdienst”.

Dem schlichten und einstöckigen Funkhaus an der South Barrack Road sieht man die Ausmaße nicht an, aber in zwei tiefer liegenden Stockwerken befinden sich die Studios für Fernsehen und Radio, das umfangreiche Musikarchiv mit über 15.000 Platten, teilweise noch Schellackplatten und natürlich die vielen CDs. Es gibt zwei Radio-Studios, das eine ist auch als Diskussionsstudio ausgelegt und wird dann von einem Techniker betreut. Beide Studios werden als Selbstfahrer vom Moderator bedient. Bei meinem Besuch Anfang Mai 2000 wurden die Studios mit modernster digitaler Technik versehen. Rund 40 feste Mitarbeiter arbeiten fürs Radio und Fernsehen; 20 Freelancer kommen noch dazu. Aus dem Fernsehstudio werden die Nachrichten, die beliebte Lotto-Show, etwas Unterhaltung und Diskussionsrunden gesendet. Es gibt drei Kameras. Im modernen digitalen Schnittraum werden die aktuellen Beiträge bearbeitet. Das Fernsehen beginnt morgens um acht Uhr und endet kurz vor 15 Uhr. Ab 19.30 Uhr kommt man wieder mit Nachrichten und Wetter, bringt Sport und Unterhaltung bis kurz vor Mitternacht.

Rund 18 Programme habe ich auf dem Felsen über Satellit empfangen können. Weiter im Gespräch mit George: „...Übertragungswagen für TV und Radio haben wir nicht, dafür gibt es an allen wichtigen Orten sogenannte Einspeisungspunkte für Mikrofone und Kameras für Liveschaltungen. Wir haben drei aktuelle TV-Crews, die das Tagesgeschehen vor Ort beobachten. Radioberichte werden von den Reportern auch per Handy ins Funkhaus überspielt. Internationale Berichte kommen von der BBC in London. Nochmals zum Radio: Sehr oft schalten wir unsere UKW-Frequenzen auseinander und bringen dann das normale Programm auf der einen und auf der anderen Frequenz die Lotterie-Ergebnisse. Auf 106,9 MHz sendet noch Rock-FM und auch noch für verbliebenen Soldaten sendet BFBS 1 + 2 auf UKW. GBC ist ein kleiner Sender, aber ein Radio vom und für den Felsen, am Rande Europas”.

Was gibt es zu sehen?

Zuerst den Konvent, seit 1728 Amtssitz des Gouverneurs. Hier findet täglich mehrmals die Wachablösung statt. Das maurische Kastell aus dem Jahre 1333, der Botanische Garten von 1816, die St. Michael’s Cave, eine zur Konzerthalle ausgebaute Tropfsteinhöhle, 300 Meter über dem Meer. 49 Meter über dem Meer befindet sich der 1841 gebaute Leuchtturm am Europa Point, denn hier endet auch die Europa Road. Sein Licht ist 37 Kilometer weit zu sehen. Ganz in der Nähe die südlichste Moschee Europas, sie wurde dank einer Spende König Fadh von Saudi-Arabien 1997 erbaut. Mit der Seilbahn erreicht man in der Mittelstation die Tropfsteinhöhlen und den berühmten Affenfelsen. Hier wohnen mehrere wildlebende, doch zahme Makaken - Affenfamilien. Um sie kümmert sich ein eigens abgestellter Master-Sergeant ihrer Majestät Elisabeth II. Die Queen’s Road ist Fußgängerzone, ein Einkaufsparadies für zollfreie Waren und dann wäre da noch der Flugplatz. Falls ein Flugzeug landet, wird die Europa Road zur Grenze nach Spanien geschlossen. 

Peter Schneider
Fotos: © Peter Schneider
www.gbc.gi

Aus RADIOJournal 11/2000