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Vor 10 Jahren: Radio 4 geht auf Sendung

"Hier in Rheinland-Pfalz hat man den Versuch gemacht, möglichst vielen die Chance zu geben, an der Rundfunkfreiheit teilzunehmen. Das hat natürlich dazu geführt, dass nicht jeder alles machen kann, sondern dass man sich in irgendeinem Bett befindet. Da liegt man, aber der eine oder andere könnte vielleicht noch angenehmer liegen. {...} Der eine oder andere liegt vielleicht nicht ganz bequem, aber liegen ist besser als nicht liegen".

Diese Bett-Metapher benutzte Professor Reinhart Ricker, Mitglied der wissenschaftlichen Begleitkommission zum Kabelpilotprojekt Ludwigshafen, in einem kurzen Interview anlässlich der Eröffnung des rheinland-pfälzischen privaten UKW-Hörfunks am 30. April 1986. An diesem Tag um 18.30 Uhr starteten unter der Bezeichnung Radio 4 vier Rundfunkanbieter auf der vorläufig ersten terrestrischen Privatfunkfrequenz 103,6 MHz im Raum Ludwigshafen.

Tatsächlich war das von Ricker angesprochene "Bett", als eine einzige landesweite, noch lange nicht flächendeckende UKW-Kette im Südwesten der Bundesrepublik, alles andere als bequem für die über 200 Lizenznehmer, die in ihm "lagen". Verantwortlich für diesen Zustand war das geltende "Landesgesetz zur Änderung des Landesgesetzes über einen Versuch mit Breitbandkabel {ÄnderungsG} vom 20. Dezember 1984, in welchem bereits Regelungen für den privaten UKW-Hörfunk enthalten waren. Es war insbesondere festgelegt, dass in Rheinland-Pfalz nur Veranstaltergemeinschaften, aber keine Einzelbewerber eine Lizenz erhalten konnten. Diese Bestimmungen hatten zum Ziel, eine möglichst umfassende Meinungsvielfalt zu erreichen. Sollten sich mehrere Gemeinschaften mit angemessener Binnenpluralität bewerben, so hat der Vorstand der Anstalt für Kabelkommunikation (AKK) die Vorstellungen der einzelnen Anbietergruppen zu einem Gesamtprogrammschema zusammenzuführen.

Diese Regelungen, verbunden mit einem komplizierten Vergabeverfahren, hatten eine gehörige Zeitverzögerung bei der Lizenzierung zur Folge. Mitte 1985 hatten sich über 160 Interessenten in sechs Veranstaltergemeinschaften zusammengefunden:

  • die Rheinland-Pfälzische Rundfunkbetriebsgesellschaft (RPR): Größte Gemeinschaft mit etwa 80 einzelnen Antragstellern, darunter den großen Tageszeitungen, Betrieben aus den unterschiedlichsten Wirtschaftsbereichen sowie den Kabelsendern Radio Weinstrasse und Radio Kolibri;
  • der Linksrheinische Rundfunk (LR): Bestehend aus etwa einem Dutzend Gruppen aus dem linken und alternativen Spektrum;
  • die Veranstaltergemeinschaft privater Rundfunk (VPR): Gemeinschaft um den hessischen FDP-Politiker Klaus-Jürgen Hoffie, welcher auch Unternehmen aus Hessen angehörten; dort bestand Mitte der 80er Jahre keine gesetzliche Grundlage für den Privatfunk;
  • die Rheinische Rundfunkarbeitsgemeinschaft (RRA): Antragsteller waren hier zwei Verlage sowie landwirtschaftliche Verbände; insgesamt im Umfeld der CDU beheimatet;
  • der Bürgerservice (BS): Eine Gruppe zumeist gemeinnütziger Verbände und Institutionen ohne kommerzielle Interessen. Der BS suchte noch Anschluss an eine andere Veranstaltergemeinschaft;
  • Radio 85: Hinter Radio 85 standen die Großverlage Bauer, Burda, Holtzbrinck und Springer; daneben waren die "Taurus Film" von Leo Kirch und Wolfgang Fischer vom TV-Anbieter "Music Box" beteiligt.

Alle Versuche, die Gemeinschaften zur Festlegung auf ein Programmschema und eine Organisationsstruktur zu bewegen, schlugen fehl. Erschwerend kam hinzu, dass sich die innere Vielfalt einzelner Konsortien (zum Beispiel durch den Beitritt weiterer Interessenten) ständig änderte oder gleich ganze Gemeinschaften fusionierten: VPR und RRA bildeten noch im Sommer 1985 die Private Rundfunkorganisation Rheinland-Pfalz (PRO), und Anfang 1986 schloss sich der Bürgerservice der RPR an. Somit blieben noch vier Anbietergemeinschaften übrig.

Also legte der Vorstand der AKK einen Schlüssel zur prozentualen Aufteilung der täglichen Sendezeit und, nachdem die Gemeinschaften auch hierüber keine Einigung erzielen konnten, die Verteilung der Sendestunden und -minuten auf die einzelnen Tageszeiten fest. Der zukünftige Sendetag hatte folgendermaßen auszusehen:

  • 05.00 - 13.00 Uhr: RPR
  • 13.00 - 16.00 Uhr: PRO
  • 16.00 - 17.15 Uhr: LR
  • 17.15 - 18.30 Uhr: Radio 85
  • 18.30 - 00.15 Uhr: RPR
  • 00.15 - 00.53 Uhr: PRO
  • 00.53 - 01.13 Uhr: LR
  • 01.13 - 01.30 Uhr: Radio 85
  • 01.30 - 05.00 Uhr: RPR

Demnach hatte RPR einen Anteil von 71,855 Prozent an der Gesamtsendezeit (bzw. 17 Stunden und 15 Minuten), PRO 15,155 Prozent (drei Stunden und 38 Minuten), LR 6,625 Prozent (eine Stunde und 35 Minuten) und auf Radio 85 entfielen 6,365 Prozent (eine Stunde und 32 Minuten). Daneben war festgelegt, dass jeder Anbieter zwischen 15 und 30 Prozent der Tageszeit mit Sendungen aus den zu schaffenden Regionalstudios in Mainz, Trier und Koblenz sowie aus Ludwigshafen bestreiten musste.

Deutschrock-Star Peter Maffay und RPR Eins Moderator Boris Müller
im RPR Studio in Ludwigshafen.

Da dieses Schema nun endgültig feststand (der LR konnte auch vor Gericht keine Verlängerung seiner Sendezeit durchsetzen), einigten sich RPR, PRO, LR und Radio 85 kurz vor dem Sendestart im Frühjahr 1986 gezwungenermaßen auf die Gesamtbezeichnung Radio 4. Der landesweite private Hörfunk konnte beginnen.

Allerdings wurde der Wille zur Kooperation bei den Beteiligten eher klein geschrieben. Es gab keinerlei Absprachen zu den behandelten Themen oder zur Musikauswahl. So konnte es vorkommen, dass ein und derselbe Titel innerhalb weniger Stunden gleich mehrmals gespielt wurde - jeweils bei einem anderen Anbieter. Nur der linksalternative LR scherte bei der allgemein üblichen Pop- und Schlager-Musikfarbe aus und füllte gleich seine allerersten Sendeminuten am 1. Mai 1986 mit dem Gesang "Reih' dich ein in die Arbeitereinheitsfront, weil du auch ein Arbeiter bist!".

Auch redaktionelle Themen wurden häufig gleich mehrfach angepackt - und das jedesmal mit einer anderen Gewichtung. Dietmar Zundel, Chefredakteur von RPR führte wenige Monate nach dem Sendestart anlässlich des »Ersten Ludwigshafener Mediengesprächs« aus: "Mein Friseur zum Beispiel hat mir neulich erzählt, er habe auf Radio 4 eine so stark ideologisch gefärbte Sendung gehört, die wollte er eigentlich nicht länger eingeschaltet lassen. Doch bei dem Versuch, diesem Beitrag auszuweichen, habe er festgestellt, dass die Sendung auf der gleichen Frequenz wie RPR liege. Ob ich ihm das erklären könne?" Er meinte, dass der größten Veranstaltergemeinschaft, also seiner RPR, vom Hörer die Verantwortung für alle 24 täglichen Sendestunden gegeben werde.

Der RPR wiederum wurde vorgeworfen, sie würde versuchen, die kleineren Mitbewerber aus dem Bewusstsein der Hörer zu verdrängen. Klaus-Jürgen Hoffie von der PRO sprach an gleicher Stelle wie Zundel und meinte, die RPR würde dem Gemeinschaftsprojekt Radio 4 in den Rücken fallen, "indem die von diesem Hauptveranstalter {d.i. RPR} selbst {...} geforderte Identifikation als Radio 4, und dieses war auch namentlich die Erfindung von RPR, {...} täglich vorsätzlich jedesmal aufs neue zu Radio RPR reduziert  und umfunktioniert" werde. Als weiteres Indiz für diesen Vorwurf kann dienen, dass die RPR in ihrer umfangreichen Pressemappe vom Mai 1986 die gemeinsame Kennung als Radio 4 gar nicht erst erwähnt hat.

Die Hörer der Frequenz 103,6 MHz und der anderen, langsam hinzukommenden UKW-Kanäle hatten Identifikationsschwierigkeiten mit den neuen Hörfunkanbietern. Hinzu kam, dass Radio 85, der Sender der Großverlage, schon nach wenigen Wochen mit dem Hinweis auf die nicht vorhandene wirtschaftliche Rentabilität den Betrieb einstellte. (Die Radio 85 zugewiesene Sendezeit wurde bei Beibehaltung der Kennung als Radio 4 fortan von der RPR bestritten.) Auch für die werbungtreibende Industrie war die gesamte Konstruktion umständlich und wenig kundenfreundlich, mussten sich potentielle Werbekunden doch durch mehrere völlig unterschiedliche Tariflisten hindurcharbeiten und konnten die gewünschte Werbezeit auch nicht zentral buchen.

Diese Koordinationsprobleme vor dem Hintergrund eines politischen Willens waren mehr als deutlich und blieben es auch bis auf weiteres. Die Lizenzen für RPR, PRO und LR waren auf einen Zeitraum von vier Jahren ausgestellt, und so blieb der rheinland-pfälzische Privatfunk bis Mitte 1990 ein Sammelbecken unterschiedlicher Rundfunkanbieter. Für den Sendestart von Radio 4 am 30. April 1986 galt jedoch erst einmal das Wort des Medienwissenschaftlers Ricker: "Liegen ist besser als nicht liegen".

Thomas Völkner
Fotos: © RPR / RJ-Archiv

Die Landeszentrale für private Rundfunkveranstalter (LPR) Rheinland-Pfalz hat den Widerspruch der PRO Radio 4 gegen den Ablehnungsbescheid für die private Hörfunksenderkette in Rheinland-Pfalz zurückgewiesen. Derzeit nutzen vier Veranstalter gemeinsam die private Hörfunksenderkette (RPR, PRO Radio 4, LR und Radio 85). Diese Lizenzen laufen zum 31. Mai 1990 aus. Die Versammlung der LPR hatte im Juni 1989 der RPR die Lizenz für die alleinige Nutzung der privaten Hörfunkkette auf 10 Jahre erteilt. (Radio-Skala 2/1990)