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Der Weg ist das Ziel...
Frauenpower am Kilimandscharo

Wer glaubt Bergsteigen sei die letzte Männerdomäne, muss spätenstens seit dem 4. März 2002 radikal umdenken: Für elf deutsche Frauen erfüllte sich an diesem Tag ein Traum, als sie gemeinsam auf der Spitze des höchsten freigelegenen Berges der Welt standen. Und zwar nicht jenseits von Afrika sondern mittendrin. Der wohlklingende Name des Kilimandscharo erweckte bei allen den Drang nach Freiheit und Abenteuer. Sie wollten unbedingt nach oben, nahmen alle Strapazen auf sich, haben Übermenschliches geleistet und wurden mit einem überwältigenden Glücksgefühl belohnt.

Spontane Entscheidungen

Die Idee zu dieser weiblichen Expedition hatte der Extremsportler und Motivationstrainer Hubertus Schwarz im Herbst 2001. Nur durch Mund-zu-Mund-Propaganda sprach sich das Vorhaben herum, an dem schließlich zwölf Frauen im Alter zwischen 28 bis 55 Jahren teilnahmen, die in allen Teilen Deutschlands beheimatet sind. Begleitet wurden sie neben Coach Hubertus Schwarz von dessen Assistentin Birgit Heinicke, der Fernseh-Redakteurin Mirella Pappalardo, dem Fotograf Jörg Wurdak und dem Kameramann Christoph Landerer.

Unter den experimentierfreudigen Frauen waren auch zwei Berliner Mitarbeiter von Spreeradio dabei: Die 28-jährige Moderatorin und Pressesprecherin Jule Adam [heute Programmchefin von 94.5 Radio Cottbus] sowie die 34-jährige Anja Fuhrberg, Marketingleiterin des Senders. „Das war eine typische Jule-Aktion“ sagt erstere zu ihrem spontanen Entschluss, bei der Gipfelstürmung des Kilimandscharo mitzumachen. „Im Dezember war Hubertus Schwarz für ein Interview bei mir in der Sendung, wo er sein seit Oktober geplantes Vorhaben erläuterte, eine Gruppe von untrainierten Frauen problemlos auf den höchsten Gipfel Afrikas zu führen. Er fragte mich dann direkt, ob ich nicht mitmachen will und ich hab’ mich überrumpeln lassen.“

So ganz bekam sie erst hinterher mit, worauf sie sich da eingelassen hatte. „Als ich im Internet gesehen hatte, dass der Kili fast 6.000 Meter hoch ist, war mir schon ein bisschen mulmig“, gibt Jule Adam unumwunden zu, „zumal ich bisher noch nie was mit Gebirgen zu tun hatte, keine Alpenwanderungserfahrungen aufweisen konnte.“ Vor Weihnachten führte dann ein Weg direkt in die Buchhandlung um sich mit Reinhold Messners „Mount Everest solo“ zu bewaffnen und ein anderer ins alpine Fachgeschäft, um passende Bergsteigerschuhe zu ergattern. Die waren ordentlich schwer und trotz vierzehntägigem Dauertragen gewöhnten sich die Füße zunächst nur schlecht daran. Drei Wochen vor dem Start am 27. Februar 2002 traf sich die bunt zusammengewürfelte Truppe zur Leistungsdiagnostik und zum Beschnuppern am Tegernsee. Hier wurden für alle teilnehmenden Frauen individuelle Trainingspläne entwickelt, die den Alltag bis zum Abflug bestimmen sollten.

Flug ins Ungewisse

Aufgeregt und in gespannter Erwartung des Unbekannten sammelten sich die zwölf Frauen und ihre fünf Begleiter auf dem Amsterdamer Flughafen, von wo aus es einen Direktflug zum Kilimandscharo-Airport von Darressalam, der Hauptstadt Tansanias gibt. Das einwöchige gemeinsame Abenteuer begann am nächsten Tag mit einer 80 Kilometer-Busreise zum Eingang des Kilimandscharo-Nationalparks. „Da hatten wir gleich unser erstes witziges Erlebnis“, erzählt Jule Adam, „als der Busfahrer uns am Straßenrand aussteigen ließ und wegfuhr, um den Keilriemen zu wechseln. Na, ob der mit unserem Gepäck nochmal wiederkommt?“ Doch er kam zurück und die erste Etappe durch den Dschungel konnte beginnen. Fünf Stunden Tour durch einen einzigartigen Zauberwald – von Lianen umwucherte und mit Moos bewachsene Baumriesen stechen zwischen dichtem Strauchwerk hervor. Nur die richtig wilden Tiere fehlen dort, der Löwe brüllt eben woanders und das Auge des Tigers funkelt dort ebenfalls nicht. 

Übernachtet wurde in Holzhütten mit Spitzdächern, die für je sechs Personen Platz boten. Hier kochen die Sherpas, die während des gesamten Auf- und Abstiegs das Gepäck durch die Gegend tragen, auch abends eine warme Mahlzeit. Freundliche, einheimische Menschen sind das, die sich mit der für unsere Vorstellungen recht geringen Entlohnung von 25 US-Dollar in der Woche zufrieden geben.

Der tägliche Marschplan von Hütte zu Hütte ist weitgehend vorgegeben, da die verlassene letzte Hütte von nachströmenden neuen Bergsteigern wieder gefüllt wird und somit eine Rückkehr zwecks Übernachtung nur einmal vorgesehen ist: Nämlich um sich vor dem endgültigen Aufstieg ausreichend akklimatisieren zu können. Niemand kann voraussagen, wen der Höhenkoller trifft, einen wirksamen Schutz dagegen gibt es nicht. Ganz wichtig ist neben einem äußerst bedächtigen Lauftempo auch die permanente Aufnahme von Flüssigkeit, um das Blut zu verdünnen.

Das ist der Gipfel!

„Mit dem Wetter hatte wir nicht gerade Glück“ erzählt Jule Adam, „Regen, Schnee und Graupel wechselten sich permanent mit Nebelschwaden und dicken grauen Wolken ab“. Auch der ständige Temperaturwechsel kann zu schaffen machen, wenngleich es auf dem Gipfel mit – 10 Grad nicht wirklich kalt ist, gemessen an vergleichbaren Höhenlagen in anderen Regionen der Welt. Die Landschaft ist merklich karger geworden, das Heidekraut auch verschwunden, stattdessen liegt ab 4.700 Höhenmetern permanenter Schnee. Da ab dieser Höhe die meisten Menschen unter dem anhaltenden Sauerstoffmangel leiden, wird auf der letzten Hütte vor dem Gipfel nur für ein paar Stunden Rast gemacht. Fast allen Frauen fehlt wegen anhaltender Kopfschmerzen und Übelkeit der Appetit um noch etwas zu essen. Die Assistentin von Hubertus Schwarz und eine weitere Frau hatten bereits den Rückweg antreten müssen, da sich ihr Zustand nicht besserte.

Gegen Mitternacht brechen die verbliebenen 15 Personen mit Power-Riegeln, Getränken und Stirnlampe ausgerüstet durch die Nacht zum Gipfel auf. „Wer seinen Tritt gefunden hatte, schaute die meiste Zeit stur auf die vereiste Kapuze des Vordermannes“ erzählt Jule. Nach 400 Höhenmetern brach die Gruppe noch einmal auseinander: Sieben Frauen und die drei Männer blieben zusammen und erreichten pünktlich zum Sonnenaufgang den imposanten Kraterrand des Kilimandscharo. Wer das Schild am exakt 5.685 Meter hoch gelegenen Gilmans Point erreicht, gilt offiziell als Bezwinger des höchsten Berges Afrikas. Nach 75 Prozent Steigung auf den letzten Metern waren alle Frauen und Männer überglücklich, das Ziel ihres tagelangen Leidens erreicht zu haben. 

„Die Gefühlsskala im Frauenpower-Team reichte von berauschender Euphorie bis zur totalen Erschöpfung. Die meisten von uns haben einfach nur geflennt und den berauschenden Blick auf die Eiswelt am Krater und das Gefühl, über den Wolken zu schweben, genossen. Die Nachzügler wurden teilweise von den Sherpas hochgetragen, weil sie schon früher an ihre Grenzen gestoßen waren. Aber das Ergebnis zählt – auch sie waren oben.“

Ihren gemeinsamen Erfolg konnte Jule Adam dank des mitgenommen Satelliten-Telefons live nach Berlin an die staunenden Spreeradio-Hörer vermelden. Gemeldet hat sich Jule nach jeder Tagesetappe beim Sender und das war Ansporn und Verpflichtung zugleich: „Eigentlich konnte ich gar nicht vor dem Gipfel schlapp machen. Ich musste doch berichten. Mir war klar, dass ich da hochkommen muss. Und die Akkus des Telefons hab’ ich gehütet wie einen Schatz. Drei hatte ich mitgenommen und nach einem Tag war der erste schon halbleer. Aber es hat geradeso hingehauen.“ Unter solchen Bedingungen werden auch die Wünsche nach dem Abstieg bescheiden. „Einen Tag vor dem Rückflug waren wir in Daressalam noch in ein Hotel gekommen und konnten nach fünf Tagen endlich wieder duschen und uns richtig aufwärmen. Die Hütten auf dem Weg zum Gipfel sind ja auch nicht beheizt.“ 

Auf zu neuen Ufern

„Irgendwie hab’ ich die Ehrfucht vor dem Berg erst hinterher bekommen“ erinnert sich Jule Adam, „als ich oben war, ist in dem Moment vor allem eine riesen Last von mir abgefallen.“ Die warnenden Stimmen von Freunden und Kollegen hat sie noch gut im Ohr, die ihr mehr oder weniger direkt das Scheitern prophezeiten. „Klar haben die alle gesagt, die Jule spinnt und gerade deswegen wollte ich ja das Gegenteil beweisen. Einfach mal zeigen, dass man nicht unbedingt der super Sportler sein muss, um den Kilimandscharo zu besteigen.“ Ihren Eltern hatte sie vorsichtshalber nichts von dem Trip erzählt. „Die dachten ich wäre eine Woche auf Fuerteventura zum Surfen. Sonst hätten sie sich einfach zu viele Sorgen gemacht. Hinterher waren sie dann natürlich umso stolzer auf mich.“ 

Doch der sympathischen Powerfrau ist das „Abenteuer Berg“ noch nicht genug gewesen. Einmal so energiegeladen am Werke, hat Jule bereits die Premiere ihres ersten Berliner Halbmarathons hinter sich. Den richtigen will sie im September auch zum ersten Mal laufen. Und dann am 25. Dezember auf der Spur neuer Abenteuer in See stechen: Als einzige Frau zusammen mit zehn Männern zu einer dreiwöchigen Atlantiküberquerung mit dem Segelboot. „Das will ich alles noch erledigt haben, bevor ich 30 werde“ lacht Jule.

Stefan Förster
Fotos: © Jule Adam
www.radio-cottbus.de

Aus RADIOJournal 5/2002