Radioarchiv

 Memories aus 20 Jahren RADIOJournal

Erfolgreicher „Tag in Europa” bei hr2

Am letzten Sonntag im Februar 1999 lief ein außergewöhnlicher Radiotag auf hr2. Die Frankfurter Kulturwelle strahlte eine 16-stündige „Klangskulptur” des bekannten Berliner Radioautors Helmut Kopetzky aus. Sie trug den Namen „Ein Tag in Europa” und war ein klingendes Porträt unseres Kontinents. Klangeindrücke aus vielen Ländern von Schottland bis Griechenland waren zu hören, Klänge vom Morgengeräusch bis zum spätabendlichen Lärm in den Kneipen. Die drei- bis achtminütigen Klangschnipsel wurden weder kommentiert noch interpretiert, sondern lediglich angesagt und konnten so unmittelbar zu den Hörern finden. Keine Nachrichtensendung unterbracht den Radiotag, nur die gelegentliche Einladung zum Feedback und eine stündliche Raterunde, bei der es am Ende des Tages eine Reise nach Wien zu gewinnen gab. 

Eine kurze Skizze der Entstehung von „Ein Tag in Europa” zeigt die Ausmaße dieses ambitionierten Projektes: Helmut Kopetzky und seine Frau Heidrun waren sechs Monate lang durch 32 Länder Europas gereist und hatten dabei 41.000 Kilometer zurückgelegt. Am Ende der Reise waren viele Stunden Originalaufnahmen eingefangen. Zusammen mit Redakteuren des Hessischen Rundfunks bearbeitete Kopetzky das Material und stellte die 16 Programmstunden zusammen, die Ende Februar ausgestrahlt wurden. Eine Auswahl musste getroffen werden eine mitunter schmerzliche Arbeit, wie der Autor zu berichten weiß: „Was vor einigen Wochen so überzeugend klang, wirkt nach der Rückkehr oft flach und belanglos. Die ‘vor Ort’ erlebte Intensität will sich nicht mehr einstellen. So besteht ein beträchtlicher Teil der Arbeit im Studio aus ... Verwerfen. In diesem Fall: von 360 Stunden Originalaufnahmen (das sind 15 x 24 Stunden Originalton) bleiben weniger als 16 Stunden übrig. Deshalb auch der Ausdruck ‘Klangskulptur’: Die endgültige Form entsteht durch Weglassen, Weghauen, durch mitleidlose Reduktion ein Prozess von weiteren sechs Monaten."

Dass sich der Aufwand gelohnt hat, zeigen die begeisterten Reaktionen der Hörerinnen und Hörer. Eigentlich, so wenden Kritiker der „Radiotage” stets ein, stößt man mit einem Radioprogramm, welches das eingeführte und gewohnte Programmschema verlässt, den Stammhörern leicht vor den Kopf. Es waren unbegründete Einwände: Gerade einmal fünf Personen riefen an und monierten, dass sie die eine oder andere angestammte Sendung vermissten. Hingegen bezogen sich über 1.000 Höreranrufe ­ bei nur drei geschalteten Telefonen waren die Leitungen häufig verstopft ­ und eMails auf das Programm des Radiotages. Positives, zustimmendes Feedback in aller Regel, Anrufe von Quiz-Teilnehmern und nette bis kuriose Rückmeldungen.

„Eine phantastische, farbenprächtige Reise, bei der man unwillkürlich ins Träumen gerät. (...) Eine akustische Illusion der Wirklichkeit”, schrieb eine Hörerin. Ein Hörer bewertete sein Hörerlebnis und führte aus: „Anders als bei hunderten von Fernseh-, Rundfunk- und Printfeatures zum Thema Europa fühle ich mich nicht als außenstehender Beobachter, sondern als Teil des Ganzen. Nicht als touristischer Voyeur (besser Audieur), sondern als Europäer, der Bekanntes wiederhört, in Neuem Vertrautes entdeckt und Unerwartetes in sein verändertes Europa(klang)bild einsortiert.” Es meldete sich auch ein Familienvater, der mit seinem Sohn in der Badewanne saß und dabei den Klängen eines Meeresstrandes lauschte. Und drei Hörer schrieben am Tag danach: „Das Radio in der Küche lief fast den ganzen Tag, und immer, wenn jemand in die Küche kam, war die Frage: Wo sind wir denn gerade? Ah, in Spanien, ah, in St. Petersburg! War schön, weiter so!”

Thomas Völkner
Fotos: © Heidrun Kopetzky
www.hr2-kultur.de

Aus RADIOJournal 4/1999

• Der „Prix Europa”, der wichtigste europäische Rundfunk- und Fernsehpreis, ist in diesem Jahr an eine Hörfunkproduktion des Hessischen Rundfunks (hr) gegangen. Ausgezeichnet wurde die in der Kulturwelle hr2 am 28. Februar dieses Jahres urgesendete Klangskulptur „Ein Tag in Europa” von Helmut Kopetzky. Das 16-stündige klingende Porträt unseres Kontinents erhielt den Preis in der Kategorie „Marktplatz für junge Ohren”. Zweiter gleichwertiger Gewinner ist die WDR-Produktion „Lager ohne Grenzen” von Christoph Schlingensief. (RADIOJournal 12/1999)