Radioarchiv

 Memories aus 20 Jahren RADIOJournal

Swingen im Frühling: Ein Besuch bei Alexander Loulakis ­ Seele der hr4-Schellack-Diskothek

Auch wenn’s noch kalt ist - der Frühling steht vor der Tür. Wenn die Tage heller und länger werden, regt sich auch die Unternehmungslust. Warum nicht einmal wieder Tanzen gehen - zum Beispiel in die hr4-Schellack-Diskothek? Oder am Radio mitswingen? Dass hr4 seinen Veranstaltungsbesuchern und Hörern eine einzigartige Vielfalt an Schellack-Musik bieten kann, verdankt die Hörfunkwelle vor allem Alexander Loulakis, dessen gewaltiges Archiv beinahe eine halbe Million Titel zählt. Brigitte Schulz hat ihn in Frankfurt besucht.

Es ist mehr als ein Hobby, das Alexander Loulakis pflegt, es ist eine Leidenschaft: „Meine Liebe” so der 74jährige, „gehört vor allem dem Swing und dem argentinischen Tango”. Unzählige Hörer des Hessischen Rundfunks profitieren davon. Denn der in Frankfurt geborene und aufgewachsene Sohn eines Griechen und einer Hessin stellt die Schätze seines Plattenarchivs seit Jahrzehnten den Programm-Machern des Hessischen Rundfunks zur Verfügung. 420.000 Titel zählt seine historische Schellackplatten-Sammlung, die bis 1959 reicht. Denn damals wurde die letzte Schellackplatte gepresst.

Das Archiv ist in einem mächtigen Haus der Jahrhundertwende in Frankfurts Osten untergebracht, eine Sammlung von Schellackplatten, Grammophonen und Dokumenten aus vier Jahrzehnten. Eine breite Treppe führt hinauf zu dem Vorplatz mit historischen Abspielgeräten, Preisen und dem Blickfang, der Litfasssäule mit einem Zarah-Leander-Plakat. In den langen Fluren und Räumen dahinter lagern die Ton- und Bilddokumente, von Loulakis liebevoll gepflegt, katalogisiert und mit Geschichten zum Leben erweckt. Sorgfältig beschriftete Hüllen mit Bändern voller Caféhaus-Musik, Big-Band-Sound, Charleston, Ragtime und Tango füllen eine riesige Regalwand. Es sind die Bänder der Schellack-Diskotheken, die hr4 regelmäßig veranstaltet.

Alexander Loulakis ist mit der Schallplatte groß geworden. „Als ich sechs war, da fing es mit Märchenplatten an.” Ein Schmunzeln geht über sein Gesicht, als er die fast siebzig Jahre alten Tonträger hervorholt. „Fuchs, du hast die Gans gestohlen”. Eine Minute blecherner Klang des Kindergrammophons, dann musste der Apparat aufgezogen werden. Die Mutter sammelte Caruso-Platten, Swingplatten kamen hinzu.

Mitte der dreißiger Jahre arbeitete der zwölfjährige Alexander für fünf Mark im Frankfurter Schumann-Theater als Statist. Fünf Schellacks gab’s dafür zu kaufen. In diesen Jahren waren die Swing-Platten begehrt, ihr Besitz aber zunehmend gefährlich: „Koffergrammophone”, erzählt Loulakis, „nutzten wir weniger zu Hause als im Schwimmbad. Man war dort sehr beliebt damit. Nur mussten wir aufpassen, denn wenn die Falschen dazukamen, dann wurden die Platten an Ort und Stelle zertrümmert.” Wachen standen auch vor den vielen Caféhäusern jener Zeit in Frankfurt, in denen eifrig amerikanischer Swing gespielt wurde. Wenn die Gestapo anrollte, wurden die Noten ausgetauscht, oder es wurden gleich deutsche Texte über die englischen Zeilen geklebt.

Nach dem Krieg gründete Loulakis einen Kreis der Schellackfreunde, dessen Vorsitzender er heute noch ist. Jeder suchte zehn Platten aus, die er auch auf eine einsame Insel mitnehmen würde. Diese Musik und die dazugehörigen Geschichten waren Programm genug für die regelmäßigen Treffen. „Bei einem solchen Abend im Frankfurter Henninger Turm hat uns Franz Rüger vom Hessischen Rundfunk entdeckt: „Macht doch mal ein Programm für den hr!” Das war der Beginn der Schellack-Diskothek im Sender 1984. 

Das Team um hr4-Moderator Tobias Hagen [Wolf Detlev Mauder], Redakteur Stefan Knorr und Programmgestalter Alexander Loulakis reist inzwischen etwa zehnmal im Jahr in kleinere und größere hessische Städte und bringt die Menschen zum Swingen. „Die Leute erinnern sich einfach gern”, sagt der ehemalige Getränkegroßhändler, „jetzt sind wir glücklich, daß auch viele junge Leute kommen, die Cha Cha Cha und Tango tanzen wollen.” Der Aufwand hält sich für ihn in Grenzen: „Ich kenne das Arrangement auswendig, ich weiß genau, jetzt kommt Tenorsaxophon, jetzt kommt Klavier, jetzt kommt dieses Instrument oder dieser Text. Auch wer das war, wann das war und wo das war. Ich lege die Musik auf und habe alles im Kopf.”

Foto: © hr
www.hr4.de

Aus RADIOJournal 11/1997

Die erfolgreiche Sendung wird heute nicht mehr als öffentliche Veranstaltung, sondern als Studioproduktion gefahren. So kann ein breiteres musikalisches Spektrum abgedeckt werden als bei einer Tanzveranstaltung möglich wäre. Dienstags um 20.05 Uhr werden im wöchentlichen Wechsel die Sendungen »Swing am Abend« und »Schellack Diskothek« in hr4 ausgestrahlt. Für alle Schellack-Freunde gibt es die hr4 Schellack CDs.