Interviews
mit Radioleuten und Radiomachern

Experten für die Rundfunkgremien!
Gespräch mit Heide Simonis 

Heide Simonis, ehemalige Ministerpräsidentin des Landes Schleswig-Holstein und Mitglied des ZDF-Verwaltungsrates, forderte Mitte des Jahres 2001 eine konsequente Trennung des Rundfunksystems von willkürlichen Einflüssen politischer Institutionen - und erntete mit ihrem mutigen Vorstoß gleichermaßen Kritik wie auch Beifall in den politischen Reihen. Nachdem das duale System unlängst sein 15-jähriges Bestehen feiern konnte, müsse die Sicherungsfunktion der Politik nun ein Ende haben und die Gremien der Anstalten ohne politische Vertreter auskommen - so das konkrete Anliegen der populären Politikerin zu Beginn des neuen Medienjahrtausends.

Frau Simonis, inwieweit erkennen Sie opportunistische Verhaltensmuster innerhalb der dualen Rundfunkordnung?

Nach unserer Verfassung hat die Rundfunkordnung die Freiheit des Rundfunks von staatlichem Einfluss zu gewährleisten. Denn unsere Demokratie setzt voraus, dass sich die Bürgerinnen und Bürger frei aus freien Medien ihre Meinung bilden können. Die Staatsferne des Rundfunks kann jedoch an einer Stelle noch verbessert werden: Vertreter des Staates sollten in Rundfunkgremien und bei der Aufsicht über den privaten Rundfunk zum Beispiel bei Fragen der Programminhalte nicht mitwirken. Der Rundfunk wird aber keine von Parteien freie Zone sein, da den Mitarbeitern der Anstalten und den Verbandsvertretern in den Gremien nicht das Recht genommen werden darf, auch Mitglied einer Partei zu sein.

Welches sind denn Ihre Beweggründe zu der Forderung, die Rundfunkgremien entsprechender Anstalten und Sender von politischen Vertretern zu befreien? Oder anders: Wie gestaltet sich Ihre Forderung explizit?

Meine Forderung zielt darauf, dass Regierungsmitglieder und Abgeordnete aus den Parlamenten nicht mehr Mitglieder in den Verwaltungs- und Rundfunkräten sein sollen. Meine Initiative bezog sich auf das ZDF und auf Deutschlandradio. Für diese Anstalten treffen die Länder gemeinsame Regeln. Bei der KEF, der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, haben die Länder eine solche Regelung schon getroffen. Ebenso bei der KEK, das ist die Kommission, welche die Konzentration beim privaten Rundfunk ermittelt und Entscheidungen zur Vielfaltsicherung trifft, gibt es solche bundesweiten Vorschriften. Da ist es meiner Ansicht nach nur logisch und konsequent, dies auch beim ZDF und beim Deutschlandradio vorzusehen. Die Politik kann doch nicht dem Einkauf teuerster Fußballweltmeisterschaftsrechte in den ZDF-Gremien zustimmen und dann später in den Landtagen dafür notwendige Gebührenerhöhungen kritisieren und Sparmaßnahmen verlangen.

Sie sind Mitglied des ZDF-Verwaltungsrates. Inwieweit sind Sie hierbei in der Lage, strukturelle und programmbezogene Entscheidungen mit zu bestimmen und zu beeinflussen?

Der Verwaltungsrat begleitet die Tätigkeit des Intendanten, insbesondere in Bezug auf die Finanzen. Dadurch werden die operativen Strukturen des Hauses beeinflusst. Direkt über die programmlichen Fragen entscheidet aber der Fernsehrat. Im Verwaltungsrat bin ich eines von vierzehn Mitgliedern, zwischen denen Kampfabstimmungen selten sind. Ich hinterfrage, befürworte, kritisiere, gebe Anregungen und artikuliere Bedenken und verweigere auch einmal meine Zustimmung. Nicht jede Entscheidung gefällt mir am Ende. Aber insgesamt steht das ZDF doch gut da, auch wenn es noch einige Herausforderungen für die Zukunft gibt.

Erkennen Sie Defizite hinsichtlich der personellen Besetzung der Rundfunkgremien? Wie sieht Ihrer Ansicht nach eine optimale Gestaltung dieser Gremien aus?

Die gesellschaftlich wichtigen Gruppen und Organisationen sollten ihr eigenständiges Entsendungsrecht behalten. Sie sollten aber noch stärker verpflichtet werden, Experten für die Rundfunkgremien zu benennen. Die Gremienmitglieder sollten von ihrer Berufs- und Lebenserfahrung her journalistische, medienkünstlerische, medienwirtschaftliche, rundfunktechnische oder medienpädagogische Kenntnisse mitbringen.

Zur Legitimationsproblematik der Rundfunkgebühr: Welche Rolle spielen Ihrer Meinung diesbezüglich die „Neuen Medien”? Entspricht eine einheitliche Gebühr grundlegend den heutigen Rahmenbedingungen des Rundfunks?

Die Rundfunkgebühr hat ihre Legitimation und wird sie auch künftig behalten. Sie ist die Gegenleistung für den Public Service des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sein plural verantwortetes Programm bildet die publizistische Grundversorgung. Weil es ihn gibt, kann der private Rundfunk so sein, wie er ist, nämlich auf Quote und Kommerz ausgerichtet. Bei den neuen Medien muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk natürlich präsent sein. Wäre er beim Internet nicht dabei, würde er auf ein Abstellgleis geraten und nicht mehr insgesamt als wettbewerbsfähiger Inhalte-Anbieter wahrgenommen. Der private Rundfunk finanziert sich aus Werbung, die übrigens auch von der Gesellschaft aufgebracht wird, und zwar bei jedem Einkauf. Das gerät immer ein wenig in Vergessenheit bei denen, die über die Gebühr schimpfen.

Und das duale System? Sehen Sie die beiden „großen Säulen” öffentlich-rechtlicher Anstalten und Privatsender als zeitgemäß an? 

Ja, das duale Rundfunksystem ist zeitgemäß. Würde der öffentlich-rechtliche Rundfunk privatisiert, könnte er nicht mehr der große Kulturträger wie heute sein. Oder kennen Sie ein privates Rundfunkunternehmen, das sich zum Beispiel erstklassige Klangkörper oder eine Niederdeutsch-Redaktion leistet? Auch können Private kein mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten vergleichbares Auslandskorrespondentennetz unterhalten, das eigen-recherchierte News aus aller Welt bringt und die Unabhängigkeit von kommerziellen Agenturen sichert. Als Gegengewicht zur internationalisierten Medienkonzentration beim privaten Rundfunk und auf den benachbarten Märkten ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk mehr denn je unverzichtbar.

Ein mächtiges Gebilde stellt die deutsche Interpretation eines dualen Rundfunksystems somit gewiss dar. Eine wahre „vierte Gewalt im Staate?”

Die Medien haben im Staate eine gewaltige Aufgabe, aber Staatsgewalt sind sie nicht. Sie sollen umfassend informieren und zur Meinungsbildung beitragen. Sie sollten jedenfalls nicht einseitig sein und beeinflussen wollen. Das ist ein hoher Anspruch an die Ethik der Journalisten. Allzu oft aber sind Kommerz, Quote und Massenattraktivität die Richtschnur. Und die Medien fragen sich zu häufig, ob ihre Inhalte ein geeignetes Umfeld für die Werbung sind. 

Ihr politisches Interesse am deutschen Rundfunkgebilde ist allgegenwärtig, Frau Simonis. Waren Sie denn schon seit jeher ein „Rundfunkfan?”

Ja, auf jeden Fall. Ich liebe Radio. Schon seit meiner Jugend.
Ich hörte gerne Musik und Sendungen, in denen Geschichten vorgelesen wurden. Vor allem, wenn ich abends mal zu Hause bleiben musste.

Wen achten Sie aufgrund der vollbrachten Leistungen – auch für unsere Gesellschaft - in der Rundfunkbranche besonders? 

Ich halte viel von Journalistinnen und Journalisten, die ihren eigenen Stil haben und sich nicht dem Zeitgeist ergeben.
Günther Gaus ist einer aus dieser leider aussterbenden Spezies.

Urs König
Aus RADIOJournal 2/2002


Foto: © Landesregierung Schleswig-Holstein

»... Die Rundfunkgebühr
hat ihre Legitimation
und wird sie auch künftig behalten. Sie ist die Gegenleistung für den Public Service des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sein plural verantwortetes Programm bildet die publizistische Grundversorgung. Weil es ihn gibt, kann der private Rundfunk so sein, wie er ist, nämlich auf Quote und Kommerz ausgerichtet. Bei den neuen Medien muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk natürlich präsent sein. Wäre er beim Internet nicht dabei, würde er auf ein Abstellgleis geraten und nicht mehr insgesamt als wettbewerbsfähiger Inhalte-Anbieter wahrgenommen. Der private Rundfunk finanziert sich aus Werbung, die übrigens auch von der Gesellschaft aufgebracht wird, und zwar bei jedem Einkauf. Das gerät immer ein wenig in Vergessenheit bei denen, die über die Gebühr schimpfen...«


• Heide Simonis war von 1971 bis 1976 Mitglied der Kieler Ratsversammlung. Von 1976 bis 1988 dann Mitglied des Deutschen Bundestag, wo sie unter anderem die Position der finanzpolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion einnahm. Von 1992 bis 2005 war sie Mitglied des Landtages von Schleswig-Holstein. Heide Simonis war zuletzt mit 59,8 Prozent der Stimmen direkt in den Landtag gewählte Abgeordnete des Wahlkreises 20 (Kiel - Ost). Am 27. April 2005 schied sie aus dem Landtag aus. Bis Februar 2008 engagierte sie sich für UNICEF.

www.heide-simonis.de